Einblick

Der Öl-Trick beim
Wasserstoff 

Die Hydrogenious LOHC Technologies GmbH hat eine Technologie entwickelt, um das leicht entzündliche Gas Wasserstoff an Öl zu binden. Dafür wurde das Unternehmen für den Deutschen Gründerpreis 2021 nominiert. Porsche Consulting wird Hydrogenious bei der Entwicklung einer Strategie zur weiteren Skalierung des Unternehmens unterstützen.

09/2021

Das Hydrogenious-Konzept im Modell: In Öl gespeicherter Wasserstoff kann von der Produktionsanlage auf verschiedenen Wegen kostengünstig zum Einsatzort transportiert werden. Hydrogenious

Grüner Wasserstoff gilt als einer der wichtigsten Bausteine der angestrebten Energiewende. In vielen Bereichen der Wirtschaft, von der Stahlerzeugung bis zur Glasproduktion, wird der durch Elektrolyse aus erneuerbaren Energien wie Wind oder Sonne erzeugte Stoff, bei dessen Herstellung keine schädlichen Treibhausgase entstehen, eine essenzielle Rolle für die Transformation spielen. Eine Herausforderung ist, den grünen Wasserstoff in ausreichender Menge und wirtschaftlich vernünftig verfügbar zu machen. Deshalb kommt dem Import aus Regionen wie Spanien, dem Mittleren Osten, Afrika oder Australien eine Schlüsselrolle zu. Ein Problem stellen bisher allerdings die Speicherung und der Transport des leicht entzündlichen Gases dar. Das Erlanger Unternehmen Hydrogenious LOHC Technologies hat eine Lösung: Bei dem Verfahren wird der grüne Wasserstoff an ein Öl gebunden. So kann er „verpackt im Öl“ bei Umgebungsbedingungen gespeichert und transportiert werden. Später wird das Gas wieder freigesetzt, das Öl für die nächste Ladung wiederverwendet.

Der Weg zum Erfolg war lang: 2013 gründete Dr. Daniel Teichmann die Hydrogenious LOHC Technologies GmbH. Die vier großen Buchstaben im Firmennamen stehen für „Liquid Organic Hydrogen Carriers“. Weil organische Verbindungen durch chemische Reaktion Wasserstoff aufnehmen und wieder abgeben können, kam Ingenieur Teichmann die Idee: Auf dieser Basis könnte Wasserstoff gespeichert und transportiert werden. Die Erkenntnis entstand im Zuge eines Forschungsprogramms an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Die süddeutsche Hochschule hält seit 2014 einen einstelligen Prozentanteil an dem Spin-Off. Im Gegenzug hat sie 15 Patente an Hydrogenious übertragen. Mit dem LOHC-Verfahren lässt sich wegen der hohen Speicherdichte fünfmal so viel Wasserstoff speichern, als wenn dieser etwa mit Druck komprimiert wird. Teichmann fand heraus, dass ein Wärmeträgeröl aus Benzyltoluol perfekt geeignet ist. Dieses Verfahren hat sich Hydrogenious patentieren lassen.

Planung einer Freisetzungsanlage für Wasserstoff: 1,5 Tonnen Wasserstoff können pro Tag bereitgestellt werden – im Industrieeinsatz genauso wie an Tankstellen. 2024 soll es soweit sein. Hydrogenious

Dr. Andreas Lehmann, Head of Strategy and Implementation, nennt einen Vorteil, der für die Kommerzialisierung der Technologie eine Trumpfkarte ist: „Wir können alle bereits für herkömmliche Treibstoffe – wie etwa Diesel – vorhandenen Infrastrukturinstrumente nutzen, zum Beispiel Öltankschiffe, Pumpen und Tanklastwagen.“ Darüber hinaus ist das Öl auch außerordentlich stabil und sicher, weil es unter Normalbedingungen gehandhabt und gelagert werden kann, nicht entflammbar oder explosiv ist und keine giftigen ätzenden Dämpfe, wie beispielsweise Ammoniak, absondert. Derzeit wird das Verfahren in mehreren Demonstrationsanlagen getestet. Davon wiederum die größte wird gerade im CHEMPARK in Dormagen geplant. Hier sollen einmal täglich fünf Tonnen Wasserstoff eingespeichert werden. Lehmann: „Damit haben wir industrielle Größe erreicht.“

Das Management des Erlanger Betriebes ist sicher, dass neben dem Einsatz in der Industrie „auch der Verkehrssektor von Wasserstoffantrieben und damit von unserer LOHC-Anwendung profitieren wird“, so Lehmann. Dafür spreche zum Beispiel, dass sie eine sichere Tankstellen-Infrastruktur ermöglicht. Und auch auf den Meeren könnte das Verfahren schon bald zum Einsatz kommen: Im Juli diesen Jahres hat das bayerische Unternehmen, das mittlerweile 45 Patente besitzt und beschäftigt, ein Joint Venture mit der skandinavischen Reederei Johannes Østensjø dy AS unterschrieben. Die gemeinsame Tochter Hydrogenious LOHC Maritime AS soll eine neuartige emissionsfreie LOHC-basierte Anwendung für die Seeschifffahrt entwickeln und vermarkten. Das erste Frachtschiff mit der innovativen Technologie „developed in Erlangen“ könnte schon 2024 in See stechen.

Investoren sind vom Erfolg der jungen Technologie-Experten überzeugt. Früh an Bord war AP Ventures, der Risikokapital-Fonds des weltweit führenden Platin-Bergbauunternehmen. Es folgten der Öl-Terminal-Betreiber Vopak, die Winkelmann Group, die Mitsubishi Corporation, der Chemiekonzern Covestro und der Autohersteller Hyundai. Zu diesen sechs Investoren sind vor Kurzem in der jüngsten Funding-Runde vier weitere gekommen: Japans größter Energieerzeuger Jera, die Kapitalholdinggesellschaft der singapurischen Regierung Temasek, Chevron, einer der weltgrößten Ölkonzerne, und der Finanzinvestor Pavilion Capital. Andreas Lehmann: „Damit sind wir für unser geplantes Wachstum finanziell und strategisch sehr gut aufgestellt.“

Am Unternehmenssitz testet Hydrogenious diese kleine Freisetzungsanlage für Wasserstoff. Sie passt in einen Container. Als Pilotprojekt soll sie an einer Erlanger Tankstelle in Betrieb gehen.Hydrogenious

Die Innovationskraft und technische Vorreiterrolle von Hydrogenious wurden beim diesjährigen Deutschen Gründerpreis gewürdigt. Die Begründung der Jury, in der Vertreter der Partner Stern, der Sparkassen, des ZDF und von Porsche sowie der Förderer des Preises saßen: Das Unternehmen habe eine revolutionäre Technologie für das Speichern und den Transport von Wasserstoff entwickelt, die das Potenzial habe, dem Wasserstoff zum Durchbruch als Energievektor des 21. Jahrhundert zu verhelfen. Hydrogenious war in der Kategorie „Aufsteiger“ nominiert. Wie die übrigen Finalisten erhalten die Erlanger eine vierwöchige individuelle auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Beratung durch die Managementberatung Porsche Consulting. Andreas Lehmann: „Zusammen mit den Beratern wollen wir unsere Strategie für die nächsten Jahre weiterentwickeln, um uns von einem reinen Entwickler zu einem Service- und Handelsunternehmen zu wandeln. Dabei werden uns neue Impulse und die Erfahrungen, die Porsche Consulting im Bereich Mobilität hat, ebenso helfen wie die Expertise der Berater, Produkte und Dienstleistungen zur Marktreife zu führen.“ Michael Tribus, Senior Partner bei Porsche Consulting: „Hydrogenious hat genau die Technologie, die dem Wasserstoff zum Erfolg verhelfen wird. Wir wollen das Unternehmen dabei unterstützen, auch wirtschaftlich ein Aufsteiger zu werden.“

Deutscher Gründerpreis – das Finale


Der deutsche Gründerpreis zeichnet seit 2002 Persönlichkeiten aus, die sich trotz Risiken nicht scheuen, aus Visionen Businesspläne zu entwickeln. Und die Ideen in Unternehmen zu verwandeln. Neben der Hydrogenious LOHC Technologies GmbH qualifizierten sich 2021 fünf weitere Nominierte in den Kategorien „StartUp“ und „Aufsteiger“ für das große Finale und die Preisverleihung, die am 14. September in Berlin gefeiert wurde.
GEWINNER 
Schwerelos Kosten sparen Laborversuche in Mikrogravitation einfacher, schneller und kostengünstiger zu ermöglichen – auf Parabelflügen oder auf der Internationalen Raumstation ISS: Damit haben drei Raumfahrt- und ein Wirtschaftsingenieur und ihre Yuri GmbH aus dem süddeutschen Meckenbeuren die „Demokratisierung der Schwerelosigkeit“ zum Geschäftsmodell erklärt. Kernprodukt von Yuri sind derzeit Minilabore, die für Pharmaunternehmen oder Forschungsinstitute ins All geschickt werden. Künftig will Yuri sich vom Dienstleister zum Biotechunternehmen wandeln und im Weltraum selbst biologisches Material oder vollständige Organe züchten. GEWINNER 
Auf freiem Fuß Die junge Schuhmarke Wildling Shoes GmbH aus dem westdeutschen Engelskirchen will Füßen möglichst viel Freiheit lassen. Japanischer Washi-Papierstoff statt Leder ist ein Faktor, der zum Beispiel die Barfuß-Sommerschuhe des Designer-Ehepaares Anna und Ran Yona so bequem macht als gäbe es sie gar nicht. Auf die Idee kamen die Yonas durch ihre Kinder. Die ließen sie, als sie noch in Israel lebten, zunächst barfuß aufwachsen. Später verlangten die Kids Schuhe, die nirgendwo drücken dürfen – ein Wunsch, den jetzt immer mehr Kunden teilen. NOMINIERT
Angeln wird verboten Mit ihrer Trainingsplattform hilft die Kölner SoSafe GmbH Firmen und Organisationen, ihre Belegschaft als „menschliche Firewall“ zu aktivieren, um Cyberkriminelle zu stoppen. Pro Tag werden weltweit 3,4 Milliarden Phishingmails versendet. Mehr als 600 Millionen rutschen durch Spamfilter. Die Hälfte davon wird geöffnet. Die drei SoSafe-Gründer und ihr Team haben eine E-Learning-Plattform mit praxisnahen Simulationen entwickelt, die Mitarbeitende aufklären und so vor Fehlern im Internet bewahren soll. Für Privatnutzer gibt es eine kostenfreie Variante unter pish-test.de. NOMINIERT
App statt Arzt Mit einer digitalen Therapie Angststörungen via Smartphone erfolgreich behandeln – das verspricht die Invirto-App der Hamburger Sympatient GmbH. Das Medizinprodukt nutzt Virtual Reality für die Psychotherapie. Entwickelt wurde es von dem jungen Neurowissenschaftler Julian Angern. Invirto-App ist verschreibungspflichtig und bei den Versicherungen anerkannt. Laut Sympatient wird die Behandlung inzwischen von allen gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland vollständig erstattet. NOMINIERT
Ihren Ausweis, bitte Sich im Internet als Person zu legitimieren – das erleichtert die Hamburger Nect GmbH mit ihrer Selfie-Ident-App so: Nutzer nehmen Videos ihrer Gesichter und Ausweise auf. Mit Unterstützung künstlicher Intelligenz werden die Videobilder verifiziert – schnell und einfach auf mobilen Endgeräten. Viele Versicherer, die Deutsche Telekom, der Automobilclub ADAC und sogar die staatliche Bundesagentur für Arbeit setzen das kundenfreundliche Verfahren bereits ein – beispielsweise für eine rasche Antragsprüfung auf Arbeitslosengeld.
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