Thomas Schmall: „Erfolgsfaktor Rohstoffe“
Lithium, Kobalt, Nickel – drei Stoffe, die Elektromobilität erst möglich machen. Und die Abhängigkeiten erzeugen. Wie will Volkswagen Versorgung und Nachhaltigkeit langfristig sichern, fragt das Porsche Consulting Magazin Konzernvorstand Thomas Schmall.
05/2024
Herr Schmall, lassen Sie uns über Rohstoffe sprechen. Warum gewinnt dieses Thema mit der E-Mobilität gerade so stark an Bedeutung?
Zunächst ist und bleibt die E‑Mobilität der Schlüssel zu mehr Klimaschutz im Verkehr. Der Großteil der Autos auf unseren Straßen wird künftig einen elektrischen Antrieb haben. Als Konzern bekennen wir uns ganz klar zur Elektrifizierung und verfolgen eine weltweite Elektrostrategie. Mit dem E‑Auto verändert sich aber auch die gesamte Wertschöpfungskette. Die Batterie wird zum technologischen und wirtschaftlichen Herzstück des Autos. Und wenn man sich die Batterie anschaut, dann stellt man schnell fest: Der mit Abstand größte Kostenblock sind Rohstoffe. Der Weg zum bezahlbaren E‑Auto für alle führt nicht zuletzt über wettbewerbsfähige Kosten für Batterierohstoffe wie Lithium oder Nickel.
Diese Rohstoffe gelten allerdings als knapp. Keine gute Ausgangslage, oder?
Fakt ist: Rohstoffsicherheit ist zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor geworden. Nicht nur für Volkswagen, sondern für die gesamte Industrie. Der Engpass sind dabei weniger die weltweiten Rohstoffvorkommen, sondern vor allem die verfügbaren Kapazitäten für die Förderung und Weiterverarbeitung. In den vergangenen Jahren haben wir eine sehr hohe Volatilität der Rohstoffpreise gesehen, es war ein regelrechtes Auf und Ab. Um uns dagegen langfristig abzusichern, gehen wir unsere Rohstoffbeschaffung sehr strategisch an.
Wie sieht diese Strategie aus?
Die PowerCo setzt auf eine integrierte Wertschöpfungskette, nimmt also von der Beschaffung und Verarbeitung von Rohstoffen über die Zellfertigung bis hin zum Recycling die relevanten Bereiche selbst in die Hand – eigenständig sowie gemeinsam mit Partnern.
Heute beziehen wir unsere Batteriezellen vollständig von externen Lieferanten, die auch die Rohstoffbeschaffung eigenständig organisieren. Ab 2025 wird sich das ändern: Dann wird die PowerCo in Salzgitter die erste Gigafabrik in Betrieb nehmen und die Eigenfertigung von Zellen hochfahren. Danach folgen die Gigafabriken in Valencia und St. Thomas in Kanada. Gleichzeitig nehmen wir auch die Rohstoffgewinnung und ‑verarbeitung zunehmend selbst in die Hand.
Was heißt das konkret?
Um mal ein Beispiel zu nennen: Zusammen mit unserem belgischen Partner Umicore haben wir das Unternehmen IONWAY gegründet, das Kathodenmaterial und Vormaterialien produzieren wird. Das ist quasi der Schritt zwischen Mine und Zellfabrik. Gemeinsam bauen wir im polnischen Nysa den größten europäischen Standort für die Kathodenfertigung auf.
Wichtig sind darüber hinaus auch Recycling und Second-Life-Anwendungen, also die Weiterverwendung von alten E‑Auto-Batterien in Speichersystemen. Wir brauchen das, um langfristig unseren Rohstoffbedarf selbst decken zu können. Das ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch ein eigener Geschäftsbereich mit erheblichem Potenzial, preislich noch wettbewerbsfähiger zu werden.
Wird Volkswagen in Zukunft auch zum Minenbetreiber?
Das schauen wir uns gerade sehr genau an. Klar ist: Wir wollen auch einen direkten Zugriff auf die relevanten Rohstoffe haben. Dafür setzen wir auf langfristige Lieferabkommen mit Rohstoffproduzenten und Finanzinstrumente zur Preisabsicherung, können uns aber auch direkte Investitionen in Minen vorstellen. Das macht nicht nur die Verfügbarkeit, sondern auch die Kosten der zentralen Rohstoffe besser kalkulierbar. Stand heute hat die PowerCo bereits einen großen Teil ihres Bedarfs an relevanten Batterierohstoffen bis 2030 abgesichert. Das Ziel ist eine robuste, nachhaltige und wettbewerbsfähige Rohstoffversorgung, mit der wir unsere Transformation zur E‑Mobilität absichern und den nächsten Schritt hin zu einem weltweit führenden Anbieter von E‑Mobilitätslösungen machen.
China spielt im Batteriegeschäft eine dominante Rolle und kontrolliert auch einen großen Teil des Rohstoffgeschäfts. Können Sie sich in diesem Umfeld überhaupt unabhängig machen?
Es geht nicht um Unabhängigkeit, sondern um eine vernünftige Balance. Wir werden auch in Zukunft auf externe Lieferanten unter anderem aus Asien und China setzen. Aber mit der PowerCo schaffen wir eine starke Alternative für die Kerntechnologie Batterie.
Lithium, Kobalt und Nickel zählen zu den kritischen Rohstoffen, die teilweise unter sehr umstrittenen Bedingungen abgebaut werden. Wie wollen Sie verhindern, dass es in Ihrer Lieferkette zu Verstößen gegen Menschenrechte und Umweltstandards kommt?
Wir nehmen unsere Verantwortung für Nachhaltigkeit, Umwelt und Menschenrechte sehr ernst ‒ und das nicht nur auf geduldigem Papier. Schon heute verpflichtet Volkswagen seine Lieferanten zu hohen Nachhaltigkeits- und Sicherheitsstandards. Und wir überprüfen die Einhaltung auch direkt vor Ort. Bis 2040 sollen über 95 Prozent unserer Lieferanten im Konzern eine positive Nachhaltigkeitsbewertung und ein zertifiziertes Umweltmanagement nachweisen können. Als Unternehmen machen wir uns zudem sehr transparent: Seit vier Jahren veröffentlichen wir freiwillig einen „Responsible Raw Materials Report“. Er deckt insgesamt 18 von uns als kritisch identifizierte Rohstoffe in der Lieferkette ab, darunter auch Batteriematerialien wie Lithium und Kobalt. Damit waren wir meines Wissens die Ersten in unserer Branche.
Kein Auftrag ohne Nachhaltigkeit?
Das ist der Anspruch. Wir wollen einen positiven Beitrag zur Transformation des Rohstoffsektors leisten und die Auswirkungen des Rohstoffabbaus so gering wie nur möglich halten. Mit dem direkten Zugang zu Minen und Minenbetreibern haben wir hier über die PowerCo künftig noch mehr Möglichkeiten. Allerdings warne ich vor unrealistischen Erwartungen. Die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist immer ein Eingriff in die Natur, sie ist derzeit zwingend auf Rohstoffe wie Lithium, Kobalt oder Nickel angewiesen. Die Rohstoffe, die wir heute abbauen, sind der Schlüssel für den Klimaschutz von morgen. Mit Recycling als Teil eines geschlossenen Rohstoffkreislaufs können die Eingriffe auf absehbare Zeit auch deutlich reduziert werden.
Der dafür nötige Weg, den wir mit dem klaren Bekenntnis zur Nachhaltigkeit einschlagen, ist sehr herausfordernd – aber er wird sich auszahlen: konsequente Dekarbonisierung, perspektivisch geringere Belastungen für die Umwelt entlang der gesamten Wertschöpfungskette, Volumen und mehr Kontrolle über die Kosten. Und im Ergebnis preisgünstigere Fahrzeuge mit auskömmlichen Margen, um unserem Anspruch gerecht zu werden, nachhaltige Mobilität für alle zu schaffen.
Die Autohersteller verweisen immer wieder auch auf die komplexen Lieferketten, die es teilweise sehr schwierig machen, den Weg bis zur konkreten Mine zu identifizieren. Das ändert sich, wenn Sie die Rohstoffe direkt beziehen oder sogar selbst die Mine betreiben, oder?
Ja, richtig. Die Integration der gesamten Batterielieferkette bietet hier in der Tat neue Möglichkeiten. Wir wissen künftig viel genauer, woher die Rohstoffe für unsere E‑Autos kommen. Zum Beispiel können wir mit Minenbetreibern vereinbaren, dass sie nach IRMA-Standards arbeiten, den besten und höchsten Standards für verantwortungsvollen Bergbau. Und wir können auch ihre Einhaltung deutlich besser sicherstellen, beispielsweise ergeben sich daraus neue Möglichkeiten für den Dialog mit den lokalen Gemeinschaften vor Ort. Dies ist Teil unserer Verantwortung, der wir uns stellen.
Wie realistisch ist die Vision einer grünen, nachhaltigen Batterie?
Nachhaltigkeit um jeden Preis ist genauso wenig zielführend wie rücksichtslos billig. Unser Ziel ist, beide Anforderungen miteinander zu verbinden und den Industriestandard bei nachhaltigen, wettbewerbsfähigen Batteriezellen zu setzen. Mit der Einheitszelle plant die PowerCo, die Batteriekosten um bis zu 50 Prozent zu senken. Gleichzeitig arbeiten wir an einer Reihe von Technologien und Maßnahmen, die den Ressourcenbedarf in den kommenden Jahren und Jahrzehnten deutlich senken werden. Dazu zählt zum Beispiel ein möglichst CO₂-armer Rohstoffabbau und der Einsatz von kobalt- und nickelfreien Batterien. Unsere Zellfabriken arbeiten mit CO₂-freiem Strom. Und dann setzen wir sehr stark auf eine Kreislaufwirtschaft, in der wir Produktionsüberschüsse sofort und die Batterien nach dem Ende ihrer Lebenszeit recyceln und die Rohstoffe wiederverwenden. In Salzgitter betreiben wir eine eigene Recyclinganlage, um die Recyclingquote weiter zu maximieren. Von alldem werden auch unsere Kunden profitieren. Für die PowerCo kann ich sagen: Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen. Aber wir stehen zu unserer Vision und arbeiten hart an ihrer Realisierung.