Warum Bauer seine Supply Chain neu erfindet
Die BAUER Gruppe produziert Spezialmaschinen für den eigenen Tiefbau. Und für dessen direkten Wettbewerb. Mit einer Transformation will das Unternehmen die außergewöhnliche Tradition als Nischenweltmeister erfolgreich fortschreiben.
10/2021
Rund 170 Kilometer nördlich des Polarkreises und knapp 1.000 Kilometer nordwestlich von Anchorage (Alaska) liegt eine der größten Zinkminen der Welt. Die Red Dog Mine wird seit den 1980er-Jahren im Tagebau betrieben. Sie liefert rund zehn Prozent der weltweiten Zinkproduktion. Der Boden ist dauerhaft und vollständig gefroren. Permafrost. Um festzustellen, welche Maßnahmen zur Baugrundverbesserung ergriffen werden müssen, wenn der Permafrost möglicherweise schmilzt, wurde die deutsche BAUER Gruppe mit einem Feldversuch beauftragt. Dabei wurden das Düsenstrahlverfahren (HDI) und das Cutter-Soil-Mixing-Verfahren (CSM) getestet. Als geeignet erwies sich das CSM-Verfahren, bei dem mit einer Fräse der Boden aufgebrochen, umgelagert und mit einem Zusatzstoff vermischt wird. Für anschließende Arbeiten wurde eine überschnittene Pfahlwand mit 93 Sekundärpfählen gebaut, wobei ein Mehrzweckbohrgerät der Serie BG 30 mit spezieller Arctic-Ausrüstung zum Einsatz kam. Entwickelt und hergestellt wurden beide Geräte von der BAUER Maschinen GmbH im süddeutschen Schrobenhausen.
Die Kombination ist das Besondere
Das börsennotierte Familienunternehmen mit rund 11.000 Mitarbeitern in 110 Tochterfirmen und einer Gesamtkonzernleistung von gut 1,5 Milliarden Euro steht auf drei Säulen: Das Segment Bau realisiert weltweit Großprojekte im Spezialtiefbau (Umsatzanteil: 45 Prozent). Das Segment Maschinen ist Weltmarktführer in der Entwicklung und Herstellung von Maschinen für den Spezialtiefbau (40 Prozent). Und das Segment Resources agiert als Dienstleister auf den Gebieten Bohrdienstleistungen und Brunnenbau, Umwelttechnik, Pflanzenkläranlagen, Bergbau und Sanierung (15 Prozent). Die BAUER Gruppe ist positioniert als innovativer und hoch spezialisierter Anbieter von Produkten und Dienstleistungen für anspruchsvolle Spezialtiefbauarbeiten und angrenzende Märkte. Die Maschinen können bohren, rammen, fräsen, den Boden verdrängen oder verdichten. Sie sind nicht nur in der Arktis im Einsatz, sondern überall – ob beim Deichbau am Toten Meer in Jordanien, dem Ausbau des Bruce Highway im australischen Queensland oder der Hafenerweiterung im ägyptischen Alexandria. Die Schwergewichte bringen bis zu 300 Tonnen auf die Waage (BG 72) und kosten zwischen 500.000 Euro und gut fünf Millionen Euro je Maschine.
Die Marke Bauer – weltweit bekannt im Spezialtiefbau
Bauer ist ein Hidden Champion ganz besonderer Art. Immer wieder hat das Unternehmen in seiner 230-jährigen Geschichte neue Märkte erobert und auf Veränderungen erfolgreich reagiert. „Die Bereitschaft zum Wandel liegt in der DNA unseres Hauses“, sagt Prof. Dr. Sebastian Bauer, Mitglied der Eigentümerfamilie und verantwortlich für Forschung und Entwicklung in der BAUER Maschinen GmbH. Das muss die BAUER Gruppe auch, denn ihre Kundenstruktur ist außergewöhnlich heterogen. Bauer: „Jeder Kunde ist anders, jede Baustelle stellt andere Anforderungen, in jedem Land herrschen andere Boden- und Transportbedingungen. In einem Land geht es um möglichst große Tiefen, in einem anderen sind die Bohrkräfte das Wichtigste, wieder woanders ist das Transportgewicht das entscheidende Kaufkriterium.“ Auch deswegen ist jedes der rund 200 Großgeräte, die das Unternehmen jährlich herstellt, ein Unikat. Fast keine Maschine, die ausgeliefert wird, gleicht exakt der vorherigen. Eine weitere Besonderheit: Viele Spezialmaschinenkäufer bestellen ihr Drehbohrgerät oder ihre Schlitzwandfräse erst, wenn sie einen Bauauftrag sicher an Land gezogen haben. Dann aber soll es schnell gehen. Lange Zeit stand es im Mittelpunkt, den Ansprüchen der Kunden mit vorgefertigten Produkten „von der Stange“ gerecht zu werden, die kurz vor der Auslieferung noch einmal entsprechend der individuellen Wünsche angepasst werden mussten. Die BAUER Maschinen GmbH produzierte „auf Vorrat“. Auf dem Firmengelände drängten sich daher viele Maschinen.
Diese Art der Produktion sorgt für hohe Kapitalbindungskosten. Damit aber nicht genug. Sebastian Bauer: „Wir haben lange Zeit so viele Funktionen in unsere Maschinen integriert, dass sie für fast jeden Kunden und fast jede Anwendung infrage kamen, um eben Dispositionsproblemen und Umbaukosten vorzubeugen.“ Die „Überstandardisierung“, wie Bauer es nennt, hatte zur Folge, dass die Käufer komplexere Maschinen bekamen, als sie tatsächlich benötigten, und von den vielseitigen Einsatzmöglichkeiten nur einen Teil nutzten beziehungsweise wertschätzten. „Das ändern wir jetzt“, stellt der promovierte Ingenieur klar. Das Projekt im Ganzen: strategische Transformation. Die ist auch deswegen notwendig, weil neue Wettbewerber, vor allem aus dem asiatischen Raum auf den Markt drängen. Sebastian Bauer: „Wenn wir unsere Führungsposition im internationalen Wettbewerb absichern wollen, müssen wir flexibler, schneller und noch kostengünstiger werden.“ Die Ziele: Verkürzung der Produktionsdurchlaufzeiten, Reduzierung des Bestands, Kostenreduzierung und Erhöhung der Wahlfreiheiten für den Kunden. Das Instrument: eine Supply-Chain-Strategie. „Sie versetzt uns in die Lage, Basisversionen so zu ergänzen, dass wir jedem Kunden ein weitgehend maßgeschneidertes Unikat liefern können — und zwar schnell und problemlos“, so Bauer.
Angestrebt wird, künftig 80 Prozent aller Geräte erst auf Bestellung herzustellen und dann innerhalb von sechs Wochen auszuliefern. Ein ehrgeiziges Ziel. Erreicht werden soll es durch die Verwendung vorgefertigter Module und Komponenten, die entweder im eigenen Haus oder von Zulieferern hergestellt und ins „Regal“ gelegt werden. Wird eine Maschine bestellt, kann das Produktionsteam die benötigten Teile und Module im Handumdrehen dem Lager entnehmen und die Gesamtkonfiguration den individuellen Anforderungen anpassen. Bauer: „Wir legen nicht mehr ein Jahr im Voraus die Gerätespezifikation bis ins Detail fest, um danach die Maschine quasi aus einem Stück zu feilen, sondern setzen sie kurzfristig aus Teilen passgenau und individuell zusammen.“ Wichtig sei dabei, das Fertigwarenlager möglichst klein zu halten. Klar ist, dass diese Transformation auch von der Belegschaft ein verändertes Denken und Handeln verlangt. Bauer: „Wir brauchen auch hier mehr Flexibilität.“
Strategische Transformation mit Porsche Consulting
Der Auftrag kam im Mai 2020: Die BAUER Maschinen GmbH hatte sich nach Vorgesprächen mit mehreren Beratungsunternehmen für Porsche Consulting als Partner für ihre angedachte strategische Transformation entschieden.
Wir haben einen Partner gesucht, der uns herausfordert, der als Turbo agiert und uns schneller weiterbringt.
„Porsche Consulting versteht Produktion“, begründet René Gudjons, Geschäftsführer der BAUER Maschinen GmbH und für die Produktion verantwortlich, den Zuschlag. „Und Porsche Consulting hat Erfahrungen in Veränderungsprozessen.“ Transformation stand auf der Agenda, Ideen waren bereits formuliert. Gudjons: „Wir haben einen Partner gesucht, der uns herausfordert, der als Turbo agiert und uns schneller weiterbringt.“ Das ist gelungen, das Projekt ist nun in der internen Implementierungsphase.
Die Berater haben wie Katalysatoren die Supply-Chain-Strategie beschleunigt.
Rainer Rossbach, in der Geschäftsführung der BAUER Maschinen GmbH für die kaufmännische Verwaltung zuständig: „Die Berater haben uns angetrieben, unsere Vorstellungen umzusetzen, haben wie Katalysatoren die Supply-Chain-Strategie beschleunigt.“ Wichtig seien auch die organisatorischen Veränderungen gewesen, die eingeführt wurden. „Der Anfang des Prozesses fühlte sich an wie eine kleine Revolution, die nächsten zwei, drei Jahre werden eher evolutionäre Veränderungen sein“, ist Gudjons sicher. Erste Erfolge der Transformation sollen Mitte 2022 sichtbar sein.
Für eine erfolgreiche Supply Chain im weltweit agierenden Maschinenbereich ist eine aktuelle und konsistente Datenbasis unabdingbar. Das gilt insbesondere für die Planung. Schließlich müssen die Schrobenhausener möglichst genau vorhersehen, welche Maschinen in einem Jahr oder eineinhalb Jahren auf Baustellen weltweit benötigt werden. „Dafür müssen wir vorne viel Intelligenz in den Prozess stecken“, sagt Gudjons. Über alle Unternehmensbereiche hinweg ist ein Umdenken erforderlich, jede Abteilung, jeder Bereich benötigt planbare Prozesse, der Datenaustausch innerhalb der Gruppe und mit den Lieferanten muss verbessert werden. Rossbach: „Wir wollen mit der Supply-Chain-Arbeitsweise Beruhigung in unsere bisher allzu sehr von Ad-hoc-Maßnahmen geprägten Dispositions- und Produktionsprozesse bekommen.“