Mobilität

Schranken beim Tanken

Zurück auf die Schiene: Nicht nur die Deutschen steigen gern in die Bahn, besonders auf dem Arbeitsweg und bei Fahrten in Ballungsräumen. Ressourcen schonende, ökologische Mobilität ist einer der Aspekte. Da sollten auch die Antriebssysteme mitziehen.

04/2023

Bereit zum Einsatz: Jens Sprotte, Vice President Marketing & Strategy beim Schienenfahrzeughersteller Alstom, registriert großes Interesse und rege Nachfrage für den Wasserstoff-Nahverkehrszug Coradia iLint.Porsche Consulting/Marco Prosch

Wenn es bei der Mobi­li­tät der Zukunft um Kli­ma­schutz und die Scho­nung der Res­sour­cen geht, dann ist Jens Sprot­te mit vol­lem per­sön­li­chem Enga­ge­ment dabei. Top-Mana­ger Sprot­te, bei der deut­schen Toch­ter des fran­zö­si­schen Schie­nen­fahr­zeug­her­stel­lers Als­tom ver­ant­wort­lich für den mit Was­ser­stoff betrie­be­nen Nah­ver­kehrs­zug Cora­dia iLint, sprüht vor Ener­gie. Hätte der Vice Pre­si­dent Mar­ke­ting & Stra­tegy auch sei­tens der Behör­den bereits über­all freie Bahn, dann könn­ten umwelt­freund­li­che Züge mit Was­ser­stoff­an­trieb noch schnel­ler eine wich­ti­ge Rolle spie­len. Vor allem im öffent­li­chen Regio­nal­ver­kehr – geprägt durch rela­tiv kurze Distan­zen und viele Hal­te­stel­len – macht das Sinn. Und dort vor­ran­gig auf den zahl­rei­chen Stre­cken, die man­gels elek­tri­scher Ober­lei­tun­gen bis­lang nur mit Die­sel­loks befah­ren wer­den kön­nen. Wie die Wei­chen schon jetzt umge­stellt wer­den kön­nen, macht der Bahn­kon­zern Als­tom im nord­deut­schen Bun­des­land Nie­der­sach­sen bereits vor: Hier ver­kehrt der Cora­dia iLint in der Nord­see­küs­ten­re­gi­on um Cux­ha­ven im Regel­ver­kehr. Im Som­mer 2023 soll der Zug auch in Kana­da getes­tet wer­den. Er wird Fahr­gäs­te auf dem Netz des Réseau Char­le­voix ent­lang des Sankt-Lorenz-Stroms beför­dern. Den grü­nen Was­ser­stoff wird ein Werk von Har­nois Éner­gies in Que­bec City lie­fern. Mit den Resul­ta­ten aus dem Pro­jekt will Als­tom die Ent­wick­lung der Was­ser­stoff­tech­no­lo­gie im nord­ame­ri­ka­ni­schen Markt bes­ser beur­tei­len können.

Als­tom hat es als ers­ter Her­stel­ler geschafft, das neue Sys­tem mit Brenn­stoff­zel­len aus Kana­da im Regel­be­trieb zu eta­blie­ren. In die­sen Zel­len wird aus Was­ser­stoff und Sau­er­stoff elek­tri­sche Ener­gie erzeugt. Der Antriebs­strom für den Zug wird in soge­nann­ten Trak­ti­ons­bat­te­rien gespei­chert. Auch die Ener­gie, die wäh­rend der Fahrt beim Brem­sen ent­steht, fließt als Vor­rat direkt in die Bat­te­rien. Das redu­ziert den Was­ser­stoff­ver­brauch und erhöht die Reichweite.

„Wir stellen nicht nur einen innovativen Zug auf die Schiene, sondern liefern auch die Infrastruktur für den Wasserstoffbetrieb gleich mit. Das erwarten unsere Kunden“, sagt Jens Sprotte. Porsche Consulting/Marco Prosch

Vita Jens Sprotte

Jens Sprotte, Jahrgang 1973, hat einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel erworben. 2003 begann er bei Alstom in Salzgitter als Projektmanager und betreute unter anderem die Deutsche Bahn als Kunden für die LINT-Nahverkehrszüge. Abseits der Schiene managte er beispielsweise für ein Jahr beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung das Austauschprogramm für junge Führungskräfte zwischen Alstom und der Bundesregierung. Seit 2021 ist er als Vice President Marketing & Strategy für die DACH-Region tätig.

Nebenbei ein Weltrekord

Damit Was­ser­stoff­bah­nen auf viel mehr Stre­cken Ein­zug hal­ten, braucht Sprot­te viel mehr Auf­merk­sam­keit. Und da enga­giert er sich mit sport­li­chem Elan und orga­ni­sier­te unter ande­rem einen Welt­re­kord: Auf dem dicht fre­quen­tier­ten Schie­nen­netz der Deut­schen Bahn ließ er einen Slot für eine Son­der­fahrt sei­nes Cora­dia iLint reser­vie­ren, lud an den Bahn­hö­fen ent­lang der Stre­cke in jedem Bun­des­land TV-Teams und Zei­tungs­re­dak­teu­re ein und schick­te sie im Was­ser­stoff­zug vom hohen Nor­den bis an die süd­li­che deut­sche Grenze.

Min­des­tens 1.000 Kilo­me­ter mit nur einer Tank­fül­lung hatte Sprot­te sei­nem Zug am Start­punkt zuge­traut. Bewusst vor­sich­tig gerech­net. Doch die Reser­ve reich­te zum Schluss noch viel wei­ter. So ende­te die Fahrt erst, kurz bevor die bei­den Bord­tanks kom­plett leer waren – nach 1.175 Kilo­me­tern und einem Ver­brauch von 250 Kilo Was­ser­stoff. Zum Nach­rech­nen: Das sind 21,3 Kilo­gramm Was­ser­stoff auf 100 Kilo­me­ter Schienenstrecke.

Im norddeutschen Werk Salzgitter produziert das französische Unternehmen Alstom den Regionalverkehrszug Coradia iLint und andere Modelle für den Nahverkehr. Aber auch Reparaturen und Wartungen, zum Beispiel für Güterwagen, werden angeboten. Porsche Consulting/Marco Prosch

„Unser iLint ist so spar­sam, dass er im typi­schen Regio­nal­ver­kehr nur alle zwei Tage betankt wer­den muss“, lobt Sprot­te. Doch noch hat die Sache einen Haken, der ihn maß­los ärgert: Nach der Welt­re­kord­fahrt konn­te der Cora­dia iLint nicht aus eige­ner Kraft in die Hei­mat zurück­keh­ren. Der glän­zen­de New­co­mer wurde an eine ande­re Lok ange­kup­pelt. Warum? „Weil es auf der Stre­cke bis­lang kaum geeig­ne­te Was­ser­stoff­tank­sta­tio­nen für den Schie­nen­ver­kehr gibt“, sagt Sprot­te. Das muss sich ändern. Und da wer­den – das ist jetzt klar – Her­stel­ler wie Als­tom selbst zupa­cken. „Es reicht nicht mehr, unse­ren Kun­den einen Zug auf die Schie­ne zu stel­len. Beim Betrieb mit Was­ser­stoff müs­sen wir ihnen die Infra­struk­tur gleich mit­lie­fern und sie auch betrei­ben. Das fängt bei den Was­ser­stoff­tank­stel­len an.“

So gestaltet Alstom die Zukunft auf Schienen

Der börsennotierte Konzern Alstom S. A. mit Hauptsitz in Saint-Ouen-sur-Seine (Frankreich) ist ein internationales Bahnindustrieunternehmen. Mit weltweit mehr als 74.000 Mitarbeitenden erwirtschaftete der Zughersteller im Geschäftsjahr 2021/2022 einen Umsatz von 15,5 Milliarden Euro. Die Konzernzentrale von Alstom in Deutschland ist in Berlin. Rund 10.000 Menschen entwickeln, produzieren und warten an 13 deutschen Standorten von Bautzen über Hennigsdorf und Salzgitter bis Mannheim Schienenfahrzeuge, Komponenten und Signaltechnik für den heimischen und internationalen Markt. Dazu gehört der weltweit erste mit Brennstoffzellen betriebene Regionalverkehrs-Triebzug Coradia iLint. An den wichtigen Flughäfen Frankfurt am Main und München betreibt und wartet Alstom die automatischen Shuttle-Züge (People Mover) aus eigener Produktion, die Fluggäste zwischen den Terminals befördern. Zu den Alstom-Referenzprodukten in Deutschland zählen beispielsweise die hochmodernen S-Bahn-Züge, die nach Hamburg geliefert werden. Hier erfolgt der Einbau von Technologie für den automatisierten Fahrbetrieb (ATO, Automatic Train Operation) erstmals in Deutschland bei Neubaufahrzeugen im S-Bahn-Bereich. In der sogenannten zweiten Automatisierungsstufe wird die eigentliche Fahrt automatisch gesteuert. Der Fahrer ist nur noch für den Abfahrbefehl sowie die Türsteuerung zuständig.
Mit dem langlebigen Regionalverkehrszug Coradia iLint und seinem Wasserstoffantrieb will Jens Sprotte einen Beitrag zur Energie- und Verkehrswende leisten. „Insbesondere im ländlichen Raum lohnt sich eine teure, aufwendige Elektrifizierung von Regionalstrecken nicht“, sagt er. Porsche Consulting/Marco Prosch
Der Wagenkasten-Rohbau des Coradia iLint besteht aus Stahl und wird im norddeutschen Alstom-Werk in Salzgitter gefertigt. Porsche Consulting/Marco Prosch
Sandstrahlen der Oberflächen und Lackierung des Wagenkastens sind die nächsten Schritte. Dazu wechselt der Zug die Seiten des weitläufigen Alstom-Werks. Die Farbgebung bestimmt der Kunde. Porsche Consulting/Marco Prosch
Diplom-Ingenieur Torsten John (links) ist als Industrial Director für die Produktion bei der Alstom Deutschland GmbH verantwortlich. Mit Sprotte hat er schon vielen Entscheidern von Verkehrsunternehmen den Coradia iLint im Werk vorgeführt – mit sehr positiver Resonanz. Porsche Consulting/Marco Prosch
Der zweiteilige Coradia iLint ist insgesamt 54 Meter lang. Fertig ausgebaut gibt es für Fahrgäste 138 Sitz- und 144 Stehplätze. Porsche Consulting/Marco Prosch
Im Alstom-Werk Salzgitter wird der Coradia iLint mit 16 Dachtanks ausgerüstet, die je 380 Liter Wasserstoff fassen. Die schweren Lithium-Ionen-Batterien finden unter dem Fahrgastraum Platz. Der Hybrid-Triebzug muss frühestens nach 1.000 Kilometer Strecke aufgetankt werden. Porsche Consulting/Marco Prosch
Jens Sprotte hat schon viel erreicht: Das Wasserstoffprojekt Coradia iLint wird gefördert vom deutschen Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Außerdem wurde der Zug in das nationale Innovationsprogramm für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie aufgenommen. Porsche Consulting/Marco Prosch
Kurz vor der Auslieferung an den Kunden ist der Führerstand des Coradia iLint noch mit Schutzfolien abgedeckt. Mit jedem Zug, den Sprotte übergeben kann, geht ein neuer Botschafter für nachhaltigen Schienenverkehr auf die Strecke. Porsche Consulting/Marco Prosch

Wasserstoff aus der Region – für alle

Das Infra­struk­tur­pro­blem betrifft bei wei­tem nicht nur Als­tom. Beim Ein­satz von Was­ser­stoff wird allzu oft in Bran­chen­gren­zen gedacht statt in Gesamt­sys­te­men. Logis­tik, Auf­bau von Tank­sta­tio­nen und effi­zi­en­ter Ein­satz durch Ver­net­zung ste­cken seit Jah­ren in den Kin­der­schu­hen. Klar: Unter­schied­li­che Nut­zer haben unter­schied­li­che Anwen­dun­gen. „Der Was­ser­stoff ist aber immer der glei­che. Und der muss allen poten­zi­el­len Nut­zern ange­bo­ten wer­den. Direkt dort, wo er gebraucht wird. Das ist not­wen­dig, um Syn­er­gien zu heben und wirt­schaft­li­che Vor­tei­le durch Men­gen­ef­fek­te zu erzie­len“, sagt Chris­ti­an Ditt­mer-Peters. Als Part­ner bei der Manage­ment­be­ra­tung Por­sche Con­sul­ting unter­stützt er Als­tom bei der umwelt­freund­li­chen Offen­si­ve auf Schie­nen. Er setzt sich für den Auf­bau eines „anwen­der­über­grei­fen­den Was­ser­stoff-Öko­sys­tems“ ein.

Auf den Werks­glei­sen der Als­tom Trans­port Deutsch­land GmbH im nord­deut­schen Salz­git­ter rol­len die neuen Was­ser­stoff­zü­ge aus den lan­gen Pro­duk­ti­ons­hal­len. Seit Ende August 2022 erset­zen diese Züge nach und nach die die­sel­be­trie­be­nen Fahr­zeu­ge der Lan­des­nah­ver­kehrs­ge­sell­schaft Nie­der­sach­sen (LNVG) im Nah­ver­kehrs­netz zwi­schen Cux­ha­ven, Bre­mer­ha­ven, Bre­mer­vör­de und Bux­te­hu­de im regu­lä­ren plan­mä­ßi­gen Ver­kehr. Ins­ge­samt 14 Cora­dia-iLint-Züge wird die Flot­te für die LNVG ins­ge­samt umfas­sen. In Bre­mer­vör­de baute die Linde GmbH, der Welt­markt­füh­rer für Indus­trie­ga­se, eine Was­ser­stoff­tank­stel­le für die Züge. Der Clou: Das Gas kommt als Abfall­pro­dukt aus einem Che­mie­werk in der nur rund 30 Kilo­me­ter ent­fern­ten Stadt Stade. Fände es nicht als Ener­gie in den Zügen Ver­wen­dung, würde es entsorgt.

Hersteller Alstom schickte seinen Wasserstoffzug Coradia iLint, der eigentlich für den Regionalverkehr gedacht ist, zur Weltrekordfahrt von Nord- bis Süddeutschland. Alstom Deutschland GmbH

Äußerst zufrie­den zeigt sich die Nah­ver­kehrs­ge­sell­schaft als Betrei­ber: „Mit dem Regel­be­trieb der Was­ser­stoff­zü­ge lie­fern wir seit eini­gen Mona­ten den Beweis, dass die inno­va­ti­ve Antriebs­form dem Die­sel in kei­ner Weise nach­steht. Ganz im Gegen­teil“, sagt LNVG-Geschäfts­füh­re­rin Car­men Schwabl. „Wir haben mit dem Was­ser­stoff­pro­jekt einen Impuls für die Ent­wick­lung der Was­ser­stoff­zü­ge in Deutsch­land gege­ben und wer­den keine Die­sel­fahr­zeu­ge mehr kau­fen, um noch mehr für den Kli­ma­schutz zu bewirken.“

Und Dr. Mathi­as Kranz, Linde-Geschäfts­lei­ter Onsite und Bulk­ge­schäft in Deutsch­land, freut sich über ein neues Geschäfts­feld: „Wir set­zen uns bei Linde seit mehr als 30 Jah­ren für die Ver­brei­tung nach­hal­ti­ger Was­ser­stoff­tech­no­lo­gien ein. Mit der Inbe­trieb­nah­me der welt­weit ers­ten Was­ser­stoff­tank­stel­le für Züge in Bre­mer­vör­de haben wir einen neuen Mobi­li­täts­sek­tor erschlos­sen.“ Das Netz im Nor­den ist welt­weit der erste Plan­ein­satz mit Was­ser­stoff­zü­gen für den Passagierbetrieb.

Christian Dittmer-Peters plädiert für intelligente Förderung

„Wasserstoff verdient mehr Motivation“

Christian Dittmer-Peters, Partner bei Porsche Consulting (links), und Jens Sprotte, Vice President Marketing & Strategy bei Alstom, haben die Wasserstoffinfrastruktur ganzheitlich und branchenübergreifend im Blick, damit der neue Regionalzug auf möglichst vielen Strecken verkehren kann, die nicht elektrifiziert sind. Porsche Consulting/Marco Prosch
„Als Managementberater unterstützen wir dabei, die Wasserstoffnutzung aus der Nische herauszubringen“, sagt Christian Dittmer-Peters, Partner bei Porsche Consulting. „Es war wichtig für den Erfolg der neuen Wasserstoffzüge, den Hersteller Alstom mit potenziellen Stakeholdern zu vernetzen, die in dem Ökosystem wichtige Rollen spielen.“ Einer muss den Wasserstoff herstellen, ein anderer soll ihn transportieren und lagern, und möglichst viele Nutzer sollen den Treibstoff verbrauchen, damit das System rentabel wird“, sagt Dittmer-Peters. Verkehrsbetriebe als Kunden von Alstom wollten nicht nur die Züge kaufen, sondern brauchten auch eine Infrastruktur für die neue Energieversorgung, die sie nicht selbst aufbauen können. Es müsse also gewährleistet werden, dass Wasserstoff über die lange Lebensdauer von Regionalverkehrszügen uneingeschränkt verfügbar bleibt. „Im Bundesland Niedersachsen haben wir Unternehmer gefunden, die sich bereit erklärten, über ihr Kerngeschäft hinauszugehen und zusätzlich auch Tankstellenbetreiber zu werden“, erläutert Dittmer-Peters. Das Ziel: „Das künftige Netzwerk von Tankstellen soll den Wasserstoff nicht nur einer Bahngesellschaft zur Verfügung stellen, sondern auch ganz anderen Verkehrsträgern – wie zum Beispiel Transporter- und Lkw-Flotten von Speditionen oder Zustelldiensten.“ Nach dem erfolgreichen Pilotprojekt in Niedersachsen sieht Managementberater Dittmer-Peters auch andernorts gute Chancen, Wasserstoff für verschiedene Verkehrsträger in Deutschland bereitzustellen und nutzbar zu machen: Dazu gehören Nordrhein-Westfalen mit Duisport – Europas größtem Binnenhafen in der Stadt Duisburg –, das Land Schleswig-Holstein und die Seehafenstadt Hamburg. Dittmer-Peters: „Für uns geht es jetzt darum, die Politik von den Vorteilen der Technologie zu überzeugen. Es braucht noch mehr Zusammenspiel aller Beteiligten. Und öffentliche Förderung sollte aus Sicht von Porsche Consulting künftig an Erfolge und an wirtschaftliche Ergebnisse gebunden werden. Solche Anreize können dafür sorgen, dass sich gute Ideen möglichst schnell selbst tragen und Projekte nicht nur laufen, solange noch Fördergeld da ist.“ Der Berater sieht auch noch einen volkswirtschaftlichen Aspekt: „Statt Entschädigungen für nicht erzeugten Strom aus Windkraft- oder Solaranlagen zu zahlen, könnte man mit dem überschüssigen Strom Wasserstoff herstellen, um die Energie später abzurufen.“ Landwirte zum Beispiel, die auf ihren Feldern Windanlagen betreiben, könnten mit einem kleinen Spezialgerät, dem Elektrolyseur, auf ihrem Bauernhof den überschüssigen Ökostrom in Wasserstoff umwandeln. Damit ließen sich dann nach Bedarf Traktoren und weitere Landmaschinen betanken – also mit Energie, die vor Ort umweltfreundlich und ohne komplizierte Lieferlogistik entsteht. Das hätte auch noch einen praktischen Vorteil: Künftige Elektroantriebe würden Agrarmaschinen – wegen der großen Batterien – deutlich schwerer machen als Wasserstoffantriebe. Noch höheres Gewicht ist bei der Ackerarbeit jedoch nicht erwünscht – weil dadurch der Boden zu stark verdichtet wird und in der Folge die Erträge sinken.

Frankfurt zieht mit

Ein wei­te­res Netz nahm im Dezem­ber 2022 im Rhein-Main-Ver­kehrs­ver­bund (RMV) den Betrieb mit 27 Zügen auf. Sie brin­gen Fahr­gäs­te von der Ban­ken­me­tro­po­le Frank­furt am Main bis in den 2.000-Einwohner-Ort Brand­obern­dorf im Tau­nus. Die not­wen­di­ge Was­ser­stoff­tank­stel­le im Indus­trie­park Frank­furt-Höchst errich­te­te Inf­ra­serv Höchst, die Betrei­ber­ge­sell­schaft des Indus­trie­parks. RMV-Geschäfts­füh­rer Prof. Knut Ring­at weist nicht ohne Stolz dar­auf hin, dass es sich bei der Inno­va­ti­on im Rhein-Main-Gebiet um „die größ­te Was­ser­stoff­zug­flot­te der Welt“ han­de­le. Die Züge des RMV sind nicht nur so geräusch­arm wie elek­trisch betrie­be­ne Fahr­zeu­ge, son­dern sie sto­ßen im Betrieb auch nur Was­ser­dampf aus. So spa­ren sie jedes Jahr rund 19.000 Ton­nen CO2 ein. Der Was­ser­stoff ent­steht im nahe­ge­le­ge­nen Indus­trie­park – eben­falls als Abfall­pro­dukt bei che­mi­schen Pro­zes­sen. Auch Ring­at nennt als Ziel eine öffent­li­che Mobi­li­tät ohne Schad­stof­fe: „Um das zu errei­chen, wer­den wir ab 2030 in unse­ren Aus­schrei­bun­gen aus­schließ­lich auf umwelt­freund­li­che Antrie­be set­zen“, ver­spricht der Chef des Verkehrsverbunds.

Tech­no­lo­gisch und eben­so in den Pro­duk­ti­ons­pro­zes­sen ist für Her­stel­ler Als­tom der Wech­sel zum Was­ser­stoff längst All­tag. „Die wesent­li­chen Antriebs­kom­po­nen­ten waren alle aus­ge­reift am Markt ver­füg­bar“, sagt Als­tom-Top-Mana­ger Sprot­te. Viel kom­pli­zier­ter ist das, was der Kunde spä­tes­tens ab dem Tag der Aus­lie­fe­rung der Züge erwar­tet: „Wir sind als Her­stel­ler gefor­dert, unse­ren Kun­den ein gan­zes Öko­sys­tem mit der not­wen­di­gen Was­ser­stoff­in­fra­struk­tur zu lie­fern, damit er sicher sein kann, ein leis­tungs­fä­hi­ges, lang­le­bi­ges Ver­kehrs­mit­tel zu kau­fen“, sagt Sprot­te. Seit Beginn des Pro­jekts haben sich bei ihm Besu­cher aus 35 Län­dern vor Ort infor­miert. Wei­te­re Vor­ha­ben in Nord­ita­li­en, Frank­reich und den Nie­der­lan­den ste­hen vor dem Start.

Gesteuert wurde der Coradia iLint für die Weltrekordfahrt auf dem Streckennetz der Deutschen Bahn von Markus Steinbach – deutscher Alstom-Ingenieur mit Lokomotiv-Führerschein. Energie, die beim Bremsen freigesetzt wird, fließt direkt in die Lithium-Ionen-Batterien. Alstom Deutschland GmbH

Energiewirtschaft und Verkehrssektor kombinieren

Jetzt geht es für Als­tom darum, exter­ne Hür­den aus dem Weg zu räu­men. Sprot­te erklärt das am Bei­spiel des Pro­jekts Bre­mer­vör­de: „Der Ort liegt geo­gra­fisch güns­tig, fast in der Mitte des regio­na­len Ver­kehrs­net­zes. Als­tom und Linde könn­ten, wenn sie dürf­ten, gemein­sam auch etli­che umlie­gen­de Gemein­den mit dem fer­tig kon­fek­tio­nier­ten Was­ser­stoff ver­sor­gen, zum Bei­spiel für kom­mu­na­le Nutz­fahr­zeu­ge. Sie dür­fen aber nicht. Denn die öffent­li­che För­de­rung des Pro­jekts wurde nur unter der aus­drück­li­chen Bedin­gung gewährt, dass die Tank­stel­le aus­schließ­lich dem Schie­nen­ver­kehr die­nen darf.“ Das stößt bei den betei­lig­ten Part­nern auf Unverständnis.

Sprot­te sagt, er setze sich dafür ein, dass die Poli­tik sich von dem Den­ken „Nur Ver­kehr“ oder „Nur Ener­gie“ ver­ab­schie­de. Eine Ener­gie- und Ver­kehrs­wen­de gelin­ge dann, wenn über­grei­fend gedacht werde, also die Was­ser­stoff- und die Ver­kehrs­stra­te­gien in Deutsch­land ver­bun­den wür­den. Bei einer volks­wirt­schaft­lich moti­vier­ten Sicht auf die Tank­stel­le werde bei­spiels­wei­se klar, dass ihre Wirt­schaft­lich­keit dras­tisch stei­gen würde, wenn nicht nur alle ein, zwei Tage die Züge zum Tan­ken vor­bei­kä­men, son­dern sie von meh­re­ren Ver­kehrs­trä­gern genutzt wer­den könn­ten. Bedarf gibt es genug – neben den Flot­ten der Kom­mu­nen kämen zum Bei­spiel auch Lini­en­bus­diens­te, Spe­di­tio­nen, grö­ße­re land­wirt­schaft­li­che Betrie­be oder Paket- und Kurier­diens­te in Betracht.

1.175 Schienenkilometer auf einer Langstrecke legte Alstom-Ingenieur Markus Steinbach bei seiner Weltrekordfahrt mit dem Coradia iLint zurück – mit nur einer Tankfüllung Wasserstoff. Im Regionalbetrieb reicht dieser Vorrat für zwei Tage im regulären Einsatz nach Fahrplan. Alstom Deutschland GmbH

Der Bahn­kon­zern Als­tom ist davon über­zeugt, dass der Was­ser­stoff­an­trieb eine große Zukunft hat, obwohl die Fach­leu­te wis­sen: Im Schie­nen­ver­kehr ist der Wir­kungs­grad von Strom aus der Ober­lei­tung unschlag­bar. „Doch es gibt vie­ler­orts wich­ti­ge, sehr plau­si­ble Argu­men­te für den Was­ser­stoff“, sagt Sprot­te: „Die Infra­struk­tur für die Elek­tri­fi­zie­rung ist sehr teuer und rech­net sich kaum beim Regio­nal­ver­kehr im länd­li­chen Raum.“ Eine ein­glei­si­ge Stre­cke zu elek­tri­fi­zie­ren, kos­tet je nach Topo­gra­fie – ob Flach­land oder Berge – 1,4 bis 3,6 Mil­lio­nen Euro pro Kilo­me­ter. Diese Zah­len ver­öf­fent­lich­te das deut­sche Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um im Jahr 2021 nach Kal­ku­la­tio­nen der DB Netz AG – der für die Schie­nen­in­fra­struk­tur ver­ant­wort­li­chen Toch­ter der Deut­schen Bahn.

Der Was­ser­stoff ver­dient noch wei­te­re Plus­punk­te. Denn idea­ler­wei­se steht das Gas als Abfall­pro­dukt zur Ver­fü­gung. Wo das nicht der Fall ist, kann unter ande­rem Wind­ener­gie genutzt wer­den. Sie wird zeit­wei­se im Über­an­ge­bot pro­du­ziert und kann in Was­ser­stoff umge­wan­delt wer­den. Dann müss­ten die auf­wen­di­gen Wind­rä­der zwi­schen­durch auch nicht mehr zwangs­wei­se abge­schal­tet wer­den, weil der Strom­be­darf gera­de gedeckt ist und Abneh­mer für die Ener­gie fehlen.

In Deutsch­land kamen viele der aktu­el­len Züge des Regio­nal­ver­kehrs wäh­rend eines Booms kurz nach der Jahr­tau­send­wen­de auf die Glei­se. Sie sind seit zwei Jahr­zehn­ten im Ein­satz und haben jetzt etwa die Hälf­te ihres Lebens­zy­klus erreicht. Das gilt auch für etli­che der mehr als 1.000 LINT-Die­sel­zü­ge von Als­tom, die der­zeit im deut­schen Regio­nal­ver­kehr fah­ren. Ihre Antrie­be kön­nen, eben­so wie die zahl­rei­cher Ran­gier­lo­ko­mo­ti­ven, mit „über­schau­ba­ren Mit­teln“, wie Sprot­te sagt, von Mine­ral­öl- auf Was­ser­stoff­be­trieb umge­baut wer­den. Haupt­sa­che: Die Schran­ken beim Tan­ken entfallen.

Coradia iLint

Der Zug in Zahlen

Fertig zur Probefahrt: Der Coradia iLint im deutschen Alstom-Werk Salzgitter. Angetrieben wird der Regionalverkehrszug von Elektromotoren, die ihre Energie wahlweise aus Wasserstoff-Brennstoffzellen oder Speicherbatterien beziehen. Porsche Consulting/Marco Prosch
Hersteller: Alstom S. A. Typ: Zweiteiliger Hybrid-Triebzug für den Regionalverkehr Antrieb: Elektromotoren, die ihre Energie wahlweise aus Batterien oder Wasserstoff-Brennstoffzellen beziehen Speicher: 16 x 380 Liter Wasserstoff in Dachtanks. Lithium-Ionen-Batterien unter dem Fahrgastraum Leistung: maximal 544 Kilowatt Höchstgeschwindigkeit: 140 km/h Reichweite: mindestens 1.000 km Länge: ca. 54 m Maximale Achslast: 18 t Kapazität: 138 Sitz- und 144 Stehplätze
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