Operation
Powerhouse
Volkswagen definiert das Auto neu und setzt voll auf Elektroantrieb. Der Konzernvorstand Technik der Volkswagen AG und CEO der Volkswagen Group Components Thomas Schmall stemmt mit den Bereichen Batterie, Ladeinfrastruktur und Fahrzeugkomponenten wesentliche Teile einer Jahrhundertaufgabe: die strategische Transformation des größten Automobilherstellers der Welt.
04/2022
Die alte Gießerei in Wolfsburg ist allem Retrocharme zum Trotz die Steuerzentrale einer neuen Welt. In den lichtdurchfluteten Industriehallen sitzt – ganz hierarchiefrei im „Open Space“ – das Management des Konzernressorts Technik und der „Komponente“, wie der eigenständig organisierte Geschäftsbereich Volkswagen Group Components im Mitarbeiterjargon immer noch heißt. Der ist mit weltweit 75.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an 45 Standorten Kernelement eines Konzerns, der für Deutschland steht, wie kaum ein anderer.
Seit ihrer Neuausrichtung im Jahr 2015 hat die Komponente eine veritable Karriere hingelegt: Von der Fertigungseinheit für klassische Fahrzeugteile wie Getriebe, Motoren und Gussrohteile zum Nukleus der Transformation ins Zeitalter der Elektromobilität. So entwickelt und fertigt das neue Konzernressort Technik, wozu die Komponente zählt, jetzt auch Batteriesysteme und Antriebe für E‑Fahrzeuge und gestaltet Zukunftsthemen wie Ladeinfrastruktur. Vor allem aber liegt hier die Gesamtverantwortung für das wichtige neue Geschäftsfeld Batterie entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Von der Rohstoffverarbeitung angefangen, über die Entwicklung und Fertigung eines einheitlichen Zellformats bis hin zur Steuerung der sechs geplanten europäischen Gigafabriken sowie zu Geschäftsmodellen für ausgediente Fahrzeugbatterien und Recycling. Zur Bündelung all dieser Aktivitäten im Batteriegeschäft wurde von Volkswagen jüngst eine Europäische Aktiengesellschaft (Société Européenne) gegründet.
Im inspirierenden Ambiente der alten Gießerei steht auch der Schreibtisch von Thomas Schmall. Der Technikvorstand, Jahrgang 1964, ist der Lenker der wohl größten Umbau-Aktion in der Geschichte der deutschen Wirtschaft. „Wir setzen lieber voll auf die neuen Themen, als tatenlos abzuwarten, wie lange man mit den alten noch überleben kann“, lautet seine Maxime. Denn E‑Mobilität ist für Volkswagen die Zukunft des Automobils – eine Fahrt ohne Wendemöglichkeit, die keinesfalls scheitern darf. Die Marktprognosen machen Mut: Die globalen Umsätze im Markt für Mobilität sollen sich bis 2030 verdoppeln.
Die Transformation der Komponente fordert radikale Veränderungen, die Thomas Schmall stemmen muss: Es gilt, neues Know-how und neue Geschäftsfelder aufzubauen, die internationalen Werke schrittweise umzustellen und effizient zu vernetzen, ganze Belegschaften neu einzuschwören und umzuqualifizieren für die E‑Welt.
Die Zulieferer müssen sich analog transformieren. Es wird ein Zusammenspiel interner und externer Zulieferer geben.
Nicht alle werden bei der Neudefinition des Konzerns mitgehen können, aber die meisten: „2025 werden wir bereits 50 Prozent unserer Mitarbeiter in der E‑Mobilität einsetzen“, so Schmall. Manche Fähigkeiten werden auch in Zukunft gefragt sein. Ein Anlagenführer in der Motorenfertigung sei schließlich nicht weit entfernt von den Experten, die die hoch automatisierte Batteriezellfertigung steuern.
Strategische Transformation
Wer an Auto denkt, muss künftig umdenken. Die Mobilitätswelt wird sich bis zum Jahr 2030 fundamental verändern: Emissionsfreie E‑Antriebe und voll vernetzte, autonom fahrende Transportmittel werden die Art und Weise bestimmen, wie wir uns fortbewegen. Nicht umsonst heißt die Konzernstrategie von Volkswagen „New Auto – Mobility for Generations to Come“. An ihrem Ziel wird sich der größte Automobilhersteller der Welt vom Fahrzeugfertiger zu einem weltweit führenden, softwaregetriebenen Mobilitätsanbieter entwickelt haben. Schmalls Wirkungsbereich nimmt im Transformationsprozess eine besondere Rolle ein: „Veränderungsbereitschaft und verbesserte Performance der Komponente waren und sind zentral für unseren Sprung in die E‑Mobilität. Bei den aktuellen E‑Modellen deckt unsere Eigenfertigung bereits rund 40 Prozent der Wertschöpfung ab. Mit der Batteriezelle kommt künftig noch das wertvollste Bauteil des E‑Autos hinzu.“
In der neuen Welt gehe es darum, Industriestandards zu entwickeln, sagt Schmall. „Kein Autohersteller kann es sich in Zukunft noch leisten, zig verschiedene Antriebe und Komponenten zu entwickeln.“ Über allem steht dabei der Plattformgedanke: So hängt etwa die Großserienfertigung von E‑Autos ursächlich mit dem neuen Modularen E‑Antriebsbaukasten MEB zusammen. Bis 2030 will der Konzern insgesamt rund 26 Millionen E‑Autos produzieren, einen Großteil davon auf MEB-Basis. Vor allem die Volumenmarken Volkswagen, Škoda, Seat und Cupra nutzen den Baukasten. Übrigens wird auch Ford künftig MEB-Kunde: Auch dort will man den Baukasten für vollelektrische Modelle verwenden.
Plattform-Denken reduziert viel Komplexität und verschlankt riesige Prozesse.
Im nächsten Schritt soll ein konzernweit einheitliches Ökosystem entstehen. Ab 2026 werden die bestehenden E‑Auto-Plattformen – neben dem MEB auch die PPE-Plattform des Premium-Segments von Audi und Porsche – durch die Scalable Systems Platform (SSP) ersetzt. Auf der SSP lassen sich künftig die Modelle aller Konzernmarken entwickeln und bauen: Supereffizient, weil sich jede Marke etwa bei den E‑Modulen bedienen kann.
Das Fahrzeug komplett neu denken
Fakt ist: Die Batterie ist der entscheidende Baustein der E‑Mobilitätsstrategie – und mit rund 40 Prozent Herstellungskosten auch der größte Kostenfaktor. Noch ist der Markt von asiatischen Anbietern dominiert, aber das will Volkswagen ändern. „Wir wollen führend sein in der Zelltechnologie“, sagt Schmall.
Dazu nehmen die Wolfsburger die Entwicklung und Fertigung von Zellen selbst in die Hand. Und sie gehen auch ganz neu an die Konzeption ihrer Modelle heran: Künftig wird die Batterie nicht mehr ins Fahrzeug hineinentwickelt, sondern das Fahrzeuge von Anfang an um die Batterie herum designt. Denn je einheitlicher das Batterieformat, umso kosteneffizienter wird die Produktion. Volkswagen arbeitet deshalb an einer Einheitszelle, mit der in Zukunft 80 Prozent aller Fahrzeuge bestückt werden können.
Die Intelligenz der Batterie stecke in der Chemie, sagt der Technikvorstand. Derzeit schieben die Testlabore Sonderschichten, testen Inhaltsstoffe bis hinunter auf die atomare Ebene. 2025 soll die Einheitszelle aus eigener Fertigung starten. „Dann werden wir auf Augenhöhe mit dem Wettbewerb sein. Die Einheitszelle wird technologisch State of the Art sein.“
Die Feststoffzelle sei dann der nächste technologische Schritt, mit weniger Gewicht, mehr Reichweite und kürzerer Ladezeit. „Sie wird ein echter Quantensprung zu dem, was wir heute als Batterie kennen“, so Schmall. „Im Wettbewerb wird entscheidend sein, welcher Autohersteller die Feststoffzelle als erster in Serie bringen kann. Wir gehen davon aus, dass wir 2025 oder 2026 die ersten Pilotanlagen für die Serienfertigung sehen.“ Volkswagen arbeitet hier eng mit dem US-amerikanischen Unternehmen QuantumScape zusammen.
Überhaupt ist eine große Offenheit gegenüber externem Know-how in Wolfsburg eingezogen: Das schwedische Unternehmen Northvolt AB gehört ebenso zu den Kooperationspartnern wie der chinesische Batteriezellexperte Gotion. Mit Umicore, 24M Technologies und Vulcan Energy Resources wurden vor Kurzem drei weitere strategische Partnerschaften geschlossen, um die Industrialisierung der Batterietechnologie und die Großserienproduktion von nachhaltigeren und innovativen Batterien voranzutreiben. Mit Bosch folgte jüngst eine Kooperation zur Industrialisierung von Fertigungsprozessen für Batteriezellen. „Wir sind gut beraten, Technologiepartner an Bord zu holen und mit ihnen den Transformationsprozess zu gestalten.“ Bis zum Jahr 2030 will Volkswagen allein in Europa zusammen mit Partnern sechs neue Gigafabriken zur Zellfertigung mit einer Produktionskapazität von 240 Gigawattstunden pro Jahr errichten. Das soll ausreichen, um bis zu vier Millionen Pkws mit Batterien auszustatten.
Am Zielpunkt der Vision – aber dazu lässt sich der bescheidene Schmall nicht auf wohlfeile Ankündigungen ein – steht nichts weniger als die Ablösung von Tesla. Die US-Schmiede verkauft immer noch weltweit die meisten E‑Autos, gilt als Zugpferd der automobilen Zukunft. Das will Schmall ändern: „Wir haben einen klaren Plan, den wir konsequent umsetzen. Wir haben die Möglichkeiten, die Größe und das Know-how.“
Vom reinen Automobilhersteller zur New Business Factory
Mit der Transformation zur E‑Mobilität öffnen sich zudem ganz neue Geschäftsfelder: E‑Autos befördern künftig nicht mehr nur Personen und Güter, sondern dienen auch als mobile Stromspeicher. Sie können dann zum Beispiel den Strom aus einer Solaranlage aufnehmen und am Abend nach Sonnenuntergang wieder ins heimische Stromnetz zurückspeisen. Das wird ganz ohne Einschränkung der Mobilität wie nebenbei funktionieren, weil die Hochvoltbatterien moderner E‑Autos so leistungsstark sein werden. Langfristig könnte das E‑Auto sogar zur mobilen Powerbank für das Gesamtnetz werden. Auch hier wittern die Experten neue Chancen, denn plötzlich sitzen sie mit interessierten Energieversorgern zu Kooperationsgesprächen am Verhandlungstisch.
Doch die Eroberung neuer Welten wird nur gelingen, wenn alle im Konzern mitziehen. Die neue Denkweise nachhaltig verankern und mit einer stabilen „Wir packen das gemeinsam“-Kultur quer durch die heterogene Belegschaft zu festigen, bleibt eine kulturelle Herausforderung für den Technikvorstand. Seine Devise: „Transformation gelingt nur mit starken Führungskräften und guter Kommunikation unserer Ziele und wie der Weg dorthin aussehen soll. Wir müssen den Wandel vorleben und unsere Teams auf diesem Weg mitnehmen. Dann trägt uns das gemeinsam, durch das gesamte Unternehmen.“