Nicht jammern,
besser werden
Es mangelt an bezahlbaren Wohnungen, Schulen, Kindertagesstätten. Typische Aufgaben für Projektentwickler, gemeinsam mit den Baugewerken. Doch der Branche fehlen plötzlich die Aufträge. Konjunkturkrise, Insolvenzgefahr. „Wer am Bau überleben will, muss sich jetzt neu aufstellen. Ganz gleich, welche Rolle er hat“, sagt unser Autor Roland Sitzberger. Er ist Bauingenieur, erfahrener Branchenkenner und Partner bei Porsche Consulting.
04/2024
Beginnt der Bau nach einer Hochkonjunktur zu kriseln, kommt es typischerweise zum Dominoeffekt: Ganz vorn kippen die ersten Steine, hinten stehen sie noch fest. Scheinbar fest. Während erste Unternehmen in Schieflage geraten, sind andere Marktteilnehmer noch damit beschäftigt, ihre gefüllten Auftragsbücher aus der Boomphase abzuarbeiten. Und dann? Das Abbröckeln des Geschäfts ist kaum aufzuhalten, es kommt nur zeitverzögert – wie beim Domino.
Ganz vorn, und damit früh getroffen, sind zum Beispiel die Projektentwickler. Es sind spezialisierte Unternehmen, die Standorte finden, passende Immobilien konzipieren sowie für die Finanzierung und öffentliche Genehmigungen sorgen. Branchenkenner rechnen mit einer umfangreichen Marktbereinigung. Katerstimmung macht sich breit. Den Entwicklern werden die Baugewerke folgen, sofern sie jetzt nicht zügig handeln. Eine – für den Bau ungewohnte – Denkweise ist gefragt: Fokus auf Kundenbedürfnisse anstatt Fokus auf individuellen Erfolg. Traditionelle Muster, die fachliche und operative Abgrenzung statt Zusammenarbeit fördern, sind ebenso überholt wie die Skepsis gegenüber der Industrialisierung. Ohne gewerkeübergreifende Vorfertigung, zum Beispiel von 2D-Elementen oder komplexen Modulen, geht es künftig nicht mehr. Allein schon wegen des Mangels an Fachkräften und des Spezialwissens, das für neue Technologien gefordert wird. Vor allem in der Gebäudetechnik.
Zu aggressiv, zu teuer
Das Umschalten von „Aufträge ablehnen wegen Vollauslastung“ zu „Kunden suchen“ fällt vielen in der Immobilien- und Bauwelt schwer. Da hilft es den Unternehmern auch wenig, die Ursache für die schlagartige Zurückhaltung der Auftraggeber allein bei gestiegenen Hypothekenzinsen zu suchen. Die Probleme werden bleiben, selbst wenn die Zinssätze für Finanzierungen sinken. Und auch staatliche Subventionen sind keine Lösung, um dauerhafte Stabilität und Widerstandskraft zu fördern. Nein, die Branche muss aus grundlegenden Fehlern lernen, wenn sie sich vor gefährlichen Risiken schützen will.
Niklas Köster, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hamburger Fresenius Hochschule, nennt typische Ursachen für die Schieflage zahlreicher Projektentwickler, die sich im Jahr 2024 drastisch verschärft: „Es wird insbesondere Unternehmen treffen, die aggressiv auf den Markt gedrängt sind, viel zu teuer Grundstücke gekauft haben und deren Projekte jetzt gar nicht mehr in die Umsetzung gehen“, sagte der Experte der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“. Wenn es dann noch an Rücklagen aus besseren Zeiten oder soliden Mieteinnahmen aus eigenen Immobilien fehlt, wird die Luft dünn. Die Folgen treffen nach und nach die gesamte Branche. Abmildern lässt sich die Situation nur durch konsequentes Umdenken. Koordination und Kooperation sowie das Abliefern einer soliden Gesamtleistung „aus einer Hand“ sind Wettbewerbsvorteile, die gerade in schwierigen Zeiten die Rettung sein können. Kurz gesagt: Nicht jammern, besser werden!
Wo ist der Mehrwert?
Wer Kunden gewinnen und halten will, der muss sich an ihnen und ihren Bedürfnissen orientieren: Qualität, Zuverlässigkeit bei Preis und Leistung, Termintreue, erstklassige Koordination, innovatives Denken und perfekter Service sind die Klassiker im Wettbewerb, um den Zuschlag bei lukrativen Aufträgen zu erhalten. Kunden kommen nach dem Bauboom jetzt wieder in eine stärkere Position. Sie erwarten Mehrwerte von den Anbietern, ergab eine Umfrage von Porsche Consulting: Das Dreizimmer-Apartment als Ware reicht nicht aus. Gefragt sind anspruchsvolle, ganzheitliche Konzepte, die Wohnen und Leben zu einem attraktiven Produkt vereinen.
Doch solche Angebote sind Mangelware. Denn leider startet noch immer ein Großteil klassischer Immobilienentwicklungen im Wohnungsbereich mit dem Blick auf das Grundstück, die Möglichkeiten der Bebauung und die angepeilte Rendite im Business Case. Gebäude werden traditionell von außen nach innen „gedacht“: Wie sieht die Hausform aus, wie die Fassade? Hinter solchen Hüllen verbergen sich in der Regel mehr oder weniger gleichartige Zwei‑, Drei- oder Vier-Zimmer-Apartments. Man konzipiert auf diese Weise ein renditeoptimiertes Wohnangebot, oft aber auch charakterarme Standardlösungen.
Die Planung und dann?
Ganz gleich ob Wohngebäude, Gewerbe- oder Industrieobjekte – eine Vielzahl von Projektentwicklungsunternehmen überlässt die operative Umsetzung traditionell anderen Baubeteiligten. Kaufleute, Vertriebsfachleute, Juristen, Architekten und Ingenieure bilden die typischen Teams. Doch was kommt nach Planung, behördlichen Freigaben und Akquise von Käufern und Investoren? Die Bauausführung ist traditionell stark fragmentiert und deshalb anfällig für Behinderungen, Störungen, Verzögerungen und Mängel – selbst, wenn ein Generalunternehmer das Projekt übernommen hat.
Spezialisierte Teams von Porsche Consulting sind seit fast drei Jahrzehnten in der Bauindustrie und bei Großprojekten unterwegs. Eines beobachten die Beraterinnen und Berater seit dem ersten Tag: Im Bauwesen klafft vielerorts ein tiefer Graben zwischen dem gesamten Planungsprozess und der Ausführung. Ein Graben, den erst wenige Bauunternehmen schließen konnten. Aber genau hier liegt die Chance, wenn die Krise gemeistert werden soll: Projektentwicklung darf nicht länger beim feierlichen Spatenstich auf dem Bauareal aufhören.
Als Berater empfehlen wir, die ausführenden Baugewerke bereits in die Vorplanungen einzubinden. Ideal sind dafür gemeinsame Büros mit interdisziplinärer Besetzung. Diese frühe Zusammenarbeit ist für alle am Bau Beteiligten gewinnbringend. Bereits in dieser Phase können Konsortien gebildet werden, die bis zur Schlüsselübergabe Hand in Hand arbeiten – mit dem Ziel eines gemeinschaftlichen Gesamterfolgs. Sogar Folgegeschäfte sind denkbar: Warum sollte ein zufriedener Eigentümer Facility Management und technische Instandhaltung nicht gleich an vertraute Geschäftspartner vergeben?
Innovationen viel stärker nutzen
Wer in der Baubranche ambitionierte Leistungs- und Kostenversprechen strikt einhalten will, für den bieten sich auch fortschrittliche Bautechnologien an. Die Möglichkeiten im seriellen und modularen Bauen entwickeln sich schnell weiter – vom simplen Raster zu hochflexiblen und dennoch standardisierten Lösungen. Die Komponenten industriell vorgefertigter Gebäude bieten zuverlässige Verarbeitungsqualität, verkürzen Bauzeiten, schaffen Kostenvorteile und tragen zur Termintreue bei. Die Bauindustrie kann hier bereits intelligente Lösungen vorweisen, zu denen auch echte Innovationen im Maschinenbau sowie durchgehend digitalisierte Prozesse in Smart Factorys wichtige Beiträge liefern. Kundenorientierte Lösungen sind heute am besten mit vorstrukturierten oder modularen Bausystemen realisierbar. Dafür muss sich die Branche industrialisieren, und zwar über die gesamte Kette hinweg.
So belastend die konjunkturelle Schwäche am Bau auch sein mag – die Situation bietet Chancen. Dafür braucht es die Bereitschaft zur Neuorganisation, zu optimal koordinierter Zusammenarbeit und zum Einbeziehen technologischer Innovationen, von der Vorplanung bis zur Objektübergabe. Die Automobilindustrie taugt hier weiterhin als Modell: Ohne eine enge Kooperation und Einbindung aller beteiligten Ressorts schon in der frühen Fahrzeugentwicklung könnten die Fertigungsbänder in der hochkomplexen Serienproduktion niemals störungsfrei laufen und Fahrzeuge produzieren, die jeder Kunde zuvor individuell konfiguriert hat.