Mobilität

„Finanzielle Robustheit ist das oberste Gebot“

Im Interview: Dr. Arno Antlitz, Vorstand Finanzen und Operatives Geschäft, Volkswagen AG

03/2023

Dr. Arno Antlitz am Volkswagen Hauptsitz in Wolfsburg. Als Konzern-Vorstand für die Geschäftsbereiche Finanzen und Operatives Geschäft treibt er die Transformation bei Volkswagen voran. Porsche Consulting/Max Arens

Freund­lich im Ton, ver­bind­lich im Auf­tre­ten: Dr. Arno Ant­litz ver­ant­wor­tet die Finan­zen bei einem der größ­ten Kon­zer­ne der Welt, der Volks­wa­gen AG. In einem exklu­si­ven Inter­view mit dem Por­sche Con­sul­ting Maga­zin spricht Ant­litz über finan­zi­el­le Nach­hal­tig­keit, die gewal­ti­gen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se in der Auto­mo­bil­welt und den Umgang mit Risi­ken. Er sieht neue regio­na­le Chan­cen, aber auch neue Kon­kur­ren­ten für den Kon­zern und gibt einen Ein­blick in sei­nen eige­nen Geld­beu­tel. Aktu­ell beschäf­tigt ihn vor allem, wie man in der lau­fen­den Trans­for­ma­ti­on des Kon­zerns die attrak­tivs­ten Pro­fit Pools ansteu­ert und besetzt.

Herr Antlitz, zunächst eine persönliche Frage: Wie viel Bargeld haben Sie gerade in der Tasche?

Ehr­li­cher­wei­se habe ich fast kom­plett aufs Handy umge­stellt. Bar­geld ist bei mir zuneh­mend knapp [lacht]. Am Park­schein­au­to­ma­ten wird es manch­mal schwie­rig. Zum Glück ist zuneh­mend eine bar­geld­lo­se Zah­lung mög­lich. Da sehe ich auch die Zukunft.

Und wie antworten Sie als Finanzchef von Deutschlands größtem Konzern auf diese Frage?

Also, eine gute Kenn­grö­ße ist die Net­to­li­qui­di­tät im Auto­mo­bil­be­reich. Und die bewegt sich bei unge­fähr 40 Mil­li­ar­den Euro. Das ist eine sehr gute Nach­richt für Volks­wa­gen – für alle Beschäf­tig­ten und auch für uns als Vor­stand. Solch soli­de Finan­zen geben uns Rücken­wind, um die Trans­for­ma­ti­on erfolg­reich meis­tern zu kön­nen, die unse­re Indus­trie gera­de beschäftigt.

Doch das Geld wird immer weniger wert. Das Thema Inflation treibt die Menschen gerade besonders um. Spürt eine Firma wie Volkswagen das auch?

Natür­lich spü­ren wir die Infla­ti­on. Wir sehen sie vor allem auf den Roh­stoff­märk­ten und bei der Ener­gie. Wir ver­su­chen hier so viel wie mög­lich zu kom­pen­sie­ren. Kos­ten­ar­beit ist und bleibt wich­tig. Und das ist auch unse­re Ver­ant­wor­tung – nicht zuletzt auch gegen­über dem Kun­den. Gera­de unse­re Volu­men­mar­ken ste­hen ja nicht nur für begeis­tern­de, son­dern auch für bezahl­ba­re Mobi­li­tät. Ich per­sön­lich bin aber eher opti­mis­tisch, dass die Infla­ti­on sich gegen Ende des Jah­res nor­ma­li­sie­ren wird. Nor­ma­li­sie­ren heißt nicht: auf null zurück gehen. Zwei, drei Pro­zent Infla­ti­on wären ein ver­nünf­ti­ger Kor­ri­dor für 2024.

Im Vorstandsbüro in der obersten Etage der Konzernzentrale: Antlitz im Gespräch mit Federico Magno (rechts), Geschäftsführer des Bereichs Mobility und Jan Boris Wintzenburg, Leiter Kommunikation und Marketing bei Porsche Consulting.Porsche Consulting/Max Arens

Sie haben die Transformation, die die Automobilindustrie und auch der Volkswagen-Konzern gerade durchlaufen, bereits angesprochen: Macht die Dimension von Investitionen und Abschreibungen einem Finanzvorstand Angst?

Ich emp­fin­de das Gegen­teil von Angst: Es ist eine unglaub­lich moti­vie­ren­de Auf­ga­be, ein gro­ßes Unter­neh­men wie Volks­wa­gen finan­zi­ell in Rich­tung Elek­tro­mo­bi­li­tät und Digi­ta­li­sie­rung zu steu­ern. Wir sind einer der größ­ten Kon­zer­ne welt­weit. Mit unse­rem Ein­satz für eine CO2-freie Mobi­li­tät haben wir des­halb einen gro­ßen Hebel in der Hand. Wir sind maß­geb­lich mit dabei, die gesam­te Indus­trie zu dekar­bo­ni­sie­ren und einen Bei­trag zu leis­ten für einen Pla­ne­ten, auf dem es sich wei­ter lohnt zu leben.

Aber die Herausforderungen sind riesig …

Wir haben viele begeis­tern­de Mar­ken – Volks­wa­gen, Audi, Por­sche, aber auch Škoda und Cupra – und bauen par­al­lel mar­ken­über­grei­fen­de Platt­for­men auf: für Soft­ware, für Bat­te­rien, für Mobi­li­tät ins­ge­samt. In der Kom­bi­na­ti­on kön­nen wir eine ein­zig­ar­ti­ge Brei­te von Markt­seg­men­ten abde­cken und gleich­zei­tig Ska­len­ef­fek­te heben. Dazu kom­men die bereits ange­spro­che­nen Stär­ken einer hohen Net­to­li­qui­di­tät und einer soli­den Bilanz. Und wir haben aus­ge­zeich­ne­te Teams. Wenn ich mir diese Zuta­ten anschaue, dann muss uns allen nicht bange sein. Im Gegen­teil. Wir kön­nen zuver­sicht­lich an die Trans­for­ma­ti­on schrei­ten, uns aus einer Posi­ti­on der Stär­ke her­aus wan­deln. Wir haben die Chan­ce, eines der erfolg­reichs­ten Unter­neh­men im Markt zu sein.

„Transform while Perform“ beschreibt diese Herausforderung ganz gut: Schließlich sind die Ressourcen begrenzt und Sie fordern vom Unternehmen neben dem Wandel auch noch Effizienzsteigerungen und mehr Resilienz in den Lieferketten ein. Wie viele Widerstände müssen Sie intern überwinden?

Vie­len Dank für die gute Zusam­men­fas­sung. Das genau ist die Kern­auf­ga­be eines CFO: Am Ende des Tages muss es gelin­gen, durch unser eige­nes Geschäft die Trans­for­ma­ti­on zu bezah­len. Kurz­fris­tig geht es um die Frage: Wie hoch ist der Cash­flow? Da geht es um das Manage­ment von Mar­gen, von Kos­ten, von der Ren­di­te und der Pro­duk­ti­vi­tät. Und da ist ja auch Por­sche Con­sul­ting sehr stark. Da hel­fen Sie uns und vie­len ande­ren Kun­den weltweit.

Und wie stellen Sie sicher, dass langfristig genug investiert wird?

Bis 2030 bewe­gen wir uns von einer Welt mit einem ein­zi­gen Pro­fit Pool mit Ver­bren­nern hin zu einer Welt mit drei unter­schied­li­chen Pro­fit Pools: Wir haben dann nach wie vor Ver­bren­ner. Dane­ben wird die Elek­tro­mo­bi­li­tät immer wich­ti­ger. Und schließ­lich gibt es soft­ware­ba­sier­te Diens­te. Und das Manage­ment die­ser drei Pro­fit Pools erfor­dert unter­schied­li­che Her­an­ge­hens­wei­sen. Um die Ver­brenn­erfahr­zeu­ge in einem Markt, des­sen Volu­men sich quasi hal­biert, wett­be­werbs­fä­hig zu hal­ten, muss sich die Modell­ef­fi­zi­enz erhö­hen. Wir wer­den hier auf Pro­duk­ti­vi­tät ach­ten und Kos­ten­ma­nage­ment betrei­ben, weil die Ska­len­ef­fek­te schwin­den. Und für die Elek­tro­fahr­zeu­ge stellt sich die Frage: Wie kann ich in einem noch stark wach­sen­den Markt den Hoch­lauf der Elek­tro­fahr­zeu­ge erfolg­reich managen?

„Wir wollen in Zukunft die Wertschöpfung noch stärker in den eigenen Händen behalten“, betont Antlitz. Porsche Consulting/Max Arens

„Hochlauf der Elektrofahrzeuge“ – das klingt schon fast gemütlich. Aber dahinter stehen ja ganz verrückte Einflüsse: Der Rohstoffmarkt erlebt eine regelrechte Bonanza, da verdoppeln und verdreifachen sich Preise, da explodiert die Nachfrage. Wie kriegt man das in den Griff?

Wenn wir über die Roh­stoff­kos­ten der Zukunft spre­chen, dann gibt es zwei Hebel: Der eine ist die Absi­che­rung, das Hedging. Da gibt es Mate­ria­li­en wie zum Bei­spiel Nickel, die kann man hedgen. Und das haben wir auch sehr erfolg­reich gemacht. Der grö­ße­re Hebel ist aber, selbst in die Roh­stoff­ket­ten ein­zu­stei­gen und damit auch die Wert­schöp­fung stär­ker in den eige­nen Hän­den zu behal­ten. Ein Bei­spiel: Wir haben im ver­gan­ge­nen Jahr die Power­Co gegrün­det, ein Start­up, wenn auch schon ein grö­ße­res, das sich um unse­re welt­wei­ten Bat­te­rie-Akti­vi­tä­ten küm­mert. Zum einen also um das Hoch­fah­ren der Zell­fa­bri­ken. Min­des­tens eben­so wich­tig ist aber die Auf­ga­be, Roh­stoff­ket­ten für die Bat­te­rien abzu­si­chern. Zusam­men mit dem bel­gi­schen Mate­ri­al­tech­nik­kon­zern Umi­co­re haben wir ein Gemein­schafts­un­ter­neh­men gegrün­det, das Katho­den­ma­te­ri­al für unse­re euro­päi­sche Bat­te­rie­pro­duk­ti­on pro­du­zie­ren wird. Mit der kana­di­schen Regie­rung haben wir ein Memo­ran­dum of Under­stan­ding geschlos­sen, was die Roh­stoff­ket­ten in der nord­ame­ri­ka­ni­schen Regi­on stär­ken soll. Wei­te­re Akti­vi­tä­ten wer­den folgen.

Wie wichtig ist dabei das Einhalten der Kriterien für Environment, Social und Governance, kurz  ESG?

Die Bedeu­tung von ESG kann man gar nicht hoch genug anset­zen und bil­det eine wich­ti­ge Säule unse­rer Stra­te­gie. Gera­de für mich als Finanz­vor­stand ist aber das Rating beson­ders bedeut­sam. Auch mit­tel­fris­tig wer­den wir uns mit deut­lich zwei­stel­li­gen Mil­li­ar­den­be­trä­gen im Jahr refi­nan­zie­ren müs­sen. Und da ist ein gutes ESG-Rating beson­ders wichtig.

Muss ein Konzern wie VW heute tiefer in die Rohstoffketten hineingehen als früher? Da hat VW sich schließlich auch nicht an Stahlwerken oder Aluminiumhütten beteiligt.

Wir wol­len uns nach wie vor nicht an Stahl­wer­ken betei­li­gen. Inves­ti­tio­nen in eine stär­ke­re ver­ti­ka­le Inte­gra­ti­on, wie im Bat­te­rie­ge­schäft, soll­ten grund­sätz­lich sehr, sehr selek­tiv erfol­gen. Wir kön­nen jeden Euro nur ein­mal aus­ge­ben. Am Schluss muss es uns gelin­gen, die finan­zi­el­le Robust­heit und Soli­di­tät von Volks­wa­gen zu jedem Zeit­punkt zu gewähr­leis­ten. Das ist eine Erfolgs­vor­aus­set­zung in der Transformation.

Kurz gesagt: Ein Unternehmen wie Volkswagen darf nie auf wackeligen Beinen stehen?

Abso­lut! Die finan­zi­el­le Robust­heit ist das obers­te Gebot. Auch und gera­de in der Transformation.

„Wir werden keine neuen Elektrofabriken in Europa bauen, sondern die bestehenden transformieren“, sagt Antlitz. Porsche Consulting/Max Arens

Das Geschäft mit Verbrennern ist ein Auslaufmodell. Müssen Sie bald ganze Fabriken abschreiben?

Wir finan­zie­ren mit den guten Ren­di­ten aus dem Ver­bren­ner­ge­schäft den Hoch­lauf der Akti­vi­tä­ten im Elek­tro­be­reich. Das ist das Gegen­teil von Abschrei­ben. Wir ver­fol­gen die Stra­te­gie, Fabrik für Fabrik umzu­rüs­ten. Wir wer­den also keine neuen Elek­tro­fa­bri­ken in Euro­pa bauen, son­dern die bestehen­den transformieren.

Die FIAT-Mutter Stellantis setzt auf Fabriken, die für verschiedene Marken arbeiten. Ist das für Volkswagen auch ein Weg?

Wir haben für die Trans­for­ma­ti­on ein ganz wich­ti­ges Asset in der Hand. Und das ist der Modu­la­re Quer­bau­kas­ten MQB, unse­re Ver­bren­ner­platt­form. Als der MQB 2012 gestar­tet wurde, stand er in der Kri­tik, weil sehr hohe Inves­ti­tio­nen getä­tigt wer­den muss­ten. Aber das gol­de­ne Zeit­al­ter des MQB kommt erst noch. Warum? Weil alle Inves­ti­tio­nen inzwi­schen getä­tigt sind und die Ver­bren­ner­platt­form des MQB in Sachen Pro­dukt­sub­stanz abso­lut wett­be­werbs­fä­hig ist. Wir wer­den sie mit einer ver­bes­ser­ten Soft­ware auf­rüs­ten und kön­nen dar­auf – im Aus­lauf der Ver­bren­ner – eine wei­te­re Gene­ra­ti­on von Fahr­zeu­gen fer­ti­gen. Natür­lich zu güns­ti­ge­ren Kos­ten und so fle­xi­bel, dass wir die gerin­ge­ren Ver­bren­ner­vo­lu­mi­na in MQB-Wer­ken mar­ken­über­grei­fend bün­deln können.

Sie kassieren jetzt die Naturaldividende für das, was früher in die MQB-Plattform investiert wurde?

Nicht nur eine Natu­ral­di­vi­den­de, son­dern ech­tes Geld. In der jet­zi­gen Phase wird der MQB noch mal ein ent­schei­den­der Kos­ten­vor­teil sein. Und das Glei­che machen wir bei den Elek­tro­fahr­zeu­gen, bei­spiels­wei­se in Zwi­ckau, wo wir auf einer Platt­form ver­schie­de­ne Fahr­zeug­pro­jek­te in einem Werk bün­deln. Ganz wich­tig: Das heißt nicht, dass die Fahr­zeu­ge für die Kun­den ähn­li­cher wer­den. Im Gegen­teil! Wir nut­zen die frei­ge­wor­de­nen Inves­ti­tio­nen, um das Pro­fil unse­rer Mar­ken wei­ter zu schär­fen. Wenn man einen Škoda Enyaq, einen VW ID.4 und einen Audi Q4 e‑tron ver­gleicht, dann sind das sehr unter­schied­li­che Fahrzeuge.

Was bedeutet das Thema Resilienz für Volkswagen?

Resi­li­enz ist eines der Kern­kon­zep­te in der heu­ti­gen Zeit. Ich fange mal mit der ope­ra­ti­ven Resi­li­enz an: Über Jahre hin­weg haben wir die Lie­fer­ket­ten auf Per­for­mance getrimmt. Sin­gle Sourcing, Just in Time – damit haben wir mög­lichst effi­zi­en­te Lie­fer­struk­tu­ren auf­ge­baut. Wir sind aber jetzt in einer Phase von zuneh­men­der Unsi­cher­heit. Des­we­gen müs­sen wir das Thema Resi­li­enz viel stär­ker in den Mit­tel­punkt stel­len. Das bedeu­tet zusätz­li­che Kos­ten. Diese wer­den aber durch bes­se­re Pla­nungs­si­cher­heit und höhe­re Fle­xi­bi­li­tät auf­ge­wo­gen. Resi­li­enz bedeu­tet auch, sich unab­hän­gi­ger vom benö­tig­ten Absatz­vo­lu­men zu machen. Sprich: den Break-even-Point abzusenken.

Heißt das auch weniger Globalisierung?

Wir müs­sen auf­pas­sen, dass wir die Kon­se­quen­zen erken­nen: Glo­ba­li­sie­rung, also die welt­wei­te Arbeits­tei­lung, hat zu enor­men Wohl­stands­ge­win­nen geführt. Wenn sich jetzt die Welt zurück­ent­wi­ckelt und man zu vie­len ver­schie­de­nen klei­nen Inves­ti­tio­nen statt zu weni­gen zen­tra­len kommt, also Ska­len­ef­fek­te ver­liert, dann wird die Pro­duk­ti­on teu­rer und der Kunde muss mehr zah­len. Am Ende wird es dann die Wohl­stands­ge­win­ne der Ver­gan­gen­heit nicht mehr geben. Das obers­te Ziel für uns als glo­ba­les Unter­neh­men muss es des­halb sein, für eine offe­ne und glo­bal ver­netz­te Welt ein­zu­ste­hen. Aber wir dür­fen natür­lich nicht blau­äu­gig sein und müs­sen uns auf die neuen Risi­ken einstellen.

Blick nach Indien: „Das Land hat meiner Ansicht nach enorme Wachstumschancen", so Antlitz.Porsche Consulting/Max Arens

Und wie macht man das?

Da bin ich bei mei­nem zwei­ten Thema: Auch die stra­te­gi­sche Resi­li­enz ist bedeut­sam. Wir als Volks­wa­gen-Kon­zern sind sehr stark in Euro­pa und China und wir wol­len das auch blei­ben. Aber wir haben deut­li­ches Nach­hol­po­ten­zi­al in den USA. Und in einer Welt, in der die geo­po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen immer schwie­ri­ger wer­den und das regu­la­to­ri­sche Umfeld immer kom­ple­xer wird, müs­sen wir vor allem unser drit­tes Stand­bein in den USA stär­ken. Und viel­leicht nicht nur in den USA. Wir rich­ten unse­ren Blick auch nach Indi­en, um viel robus­ter auf­ge­stellt zu sein in die­ser neuen Welt. Indi­en hat mei­ner Ansicht nach enor­me Wachs­tums­chan­cen. Wir müs­sen uns noch glo­ba­ler auf­stel­len, um wirk­lich resi­li­ent zu sein.

Wir haben noch nicht über Software gesprochen: Muss Volkswagen die wirklich selber machen?

Die Soft­ware in der Hand zu haben, ist ein wich­ti­ger Bau­stein, um die Fahr­funk­tio­nen wei­ter selbst bestim­men zu kön­nen und um die Daten­ho­heit im Auto zu haben. Das heißt aber nicht, dass man nicht mit ande­ren Unter­neh­men zusam­men­ar­bei­ten kann. Ich spre­che ganz kon­kret den Auf­bau unse­rer Auto­mo­ti­ve Soft­ware Toch­ter­ge­sell­schaft Cari­ad und der Soft­ware­platt­form an. Hier über­prü­fen wir gera­de unse­re Stra­te­gie. Klar ist, dass wir den wesent­li­chen Teil der Soft­ware selbst ent­wi­ckeln und besit­zen müs­sen. Das hin­dert uns aber nicht daran, mit Part­nern zusam­men­zu­ar­bei­ten. Ziel ist es, unse­ren Kun­den zum frü­hest­mög­li­chen Zeit­punkt und zu einem ver­tret­ba­ren Auf­wand das beste Gesamt­pa­ket anbie­ten zu kön­nen. Des­we­gen set­zen wir zuneh­mend auch auf die Kom­pe­tenz von Partnern.

Was ist der Vorteil?

Es geht dabei im Wesent­li­chen um die Pro­fit Pools aus dem auto­no­men Fah­ren: Mobi­li­ty as a Ser­vice und soft­ware­ba­sier­te Diens­te. Die ste­hen zwar erst am Anfang, aber wir erwar­ten, dass ab 2025 erste Erlö­se aus klei­nen, aber wich­ti­gen Leucht­turm­pro­jek­ten dar­aus flie­ßen und nach 2030 pro­fi­ta­ble Diens­te ent­ste­hen, die schnell wach­sen – mit hohen Umsät­zen im Bereich Trans­port und Per­so­nen­be­för­de­rung. Aber auch für die Kun­den gibt es Chan­cen: Ich bin pas­sio­nier­ter Ski­fah­rer. Stel­len Sie sich eine Welt vor, in der Sie sich frei­tag­abends in ein Fahr­zeug set­zen könn­ten und dann am nächs­ten Mor­gen aus­ge­schla­fen im Ski­ge­biet ankä­men. Hier wäre meine per­sön­li­che Zah­lungs­be­reit­schaft enorm hoch [lacht].

Sie hissen also nicht die weiße Flagge vor Amazon, Google, Apple und Co.?

Wir wol­len sel­ber die Soft­ware ent­wi­ckeln. Aber mit klu­gen Partnering-Konzepten.

Was sind momentan die größten Unsicherheitsfaktoren in Ihrem Zahlenwerk?

Das ist sicher die Frage, wie sich die Kon­junk­tur ent­wi­ckeln wird. Wir sind in einer Indus­trie, die momen­tan stark geprägt ist von Lie­fer­eng­päs­sen. Weder wir noch ande­re Her­stel­ler kön­nen gera­de so viele Autos bauen und ver­kau­fen, wie die Kun­den gerne hät­ten. Wir kön­nen nicht aus­schlie­ßen, dass sich die Kon­junk­tur ein­trübt und sich die Nach­fra­ge abschwächt. Dar­auf stel­len wir uns ent­spre­chend ein. Gleich­zei­tig erwar­ten wir, dass sich im Jahr 2023 die welt­wei­te Ver­sor­gung mit Halb­lei­tern ver­bes­sert. Das heißt, eine redu­zier­te Nach­fra­ge träfe auf ein ver­bes­ser­tes Ange­bot. Und dann dür­fen wir nicht in alte Rabatt­mus­ter ver­fal­len. Wir müs­sen Preis­dis­zi­plin bewahren.

Wird der Wettbewerb auch härter, weil andere klassische Autokonzerne eine andere Strategie fahren und sagen: „Für Software geben wir kein Geld aus, die beziehen wir von Google oder Apple, das schafft finanzielle Freiräume“?

Kann sein, aber der Reflex soll­te nicht sein, an Zukunfts­in­ves­ti­tio­nen zu spa­ren, auch wenn ande­re Wett­be­wer­ber das machen. Es gab in der Ver­gan­gen­heit immer Pha­sen, in denen die Kos­ten im Fokus stan­den, und dann wie­der Pha­sen, in denen es um die zen­tra­le Stra­te­gie und Wachs­tum ging. Aktu­ell ist bei­des gleich wich­tig. Das ist eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung für ein Unter­neh­men. Ein Ziel kann man immer gut ver­fol­gen, aber meh­re­re sind schwie­rig. Aber genau so geht Transformation.

Ich stelle mir das so vor wie bei Rallyelegende Walter Röhrl: Gleichzeitig mit einem Fuß auf dem Gas und dem anderen auf der Bremse – und dann mit maximalem Tempo über Stock und Stein.

Bei uns heißt es: Gleich­zei­tig spa­ren und Geld aus­ge­ben, also inves­tie­ren. Die Unter­neh­men, die diese Gleich­zei­tig­keit am bes­ten mana­gen, die wer­den auch am bes­ten durch die Trans­for­ma­ti­on kommen.

Also Bremsen auf der Vorderachse, Schub auf die Hinterachse – und dann geschmeidig durch die Kurve?

Da muss ich erst mal drü­ber nach­den­ken, ob das so funk­tio­niert [lacht].

Walter Röhrl kennt sich da sicher besser aus als wir. Aber es sind auf jeden Fall besondere Zeiten …

… beson­de­re Zei­ten auch des­halb, weil unter­schied­li­che Berei­che im Unter­neh­men unter­schied­lich betrof­fen sind. Eini­ge Berei­che müs­sen sich ver­schlan­ken, müs­sen deut­lich redu­zie­ren, ande­re Berei­che müs­sen wach­sen. Das gibt Span­nun­gen im Unter­neh­men, die man dann durch Kom­mu­ni­ka­ti­on, durch Schu­lun­gen und gute Trans­for­ma­ti­ons­pro­gram­me mana­gen muss.

Dr. Arno Antlitz, Jahrgang 1970, ist studierter Wirtschaftsingenieur und promovierter Wirtschaftswissenschaftler. Seine Karriere startete er 1999 bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company, bevor er 2004 zum Volkswagen Konzern wechselte. Porsche Consulting/Max Arens

Wie nehmen Sie die Mitarbeitenden mit auf eine solche Reise?

Man muss allen Betei­lig­ten immer wie­der klar­ma­chen: Die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter, die jetzt noch am Ver­bren­ner arbei­ten, die finan­zie­ren die Trans­for­ma­ti­on. Diese Auf­ga­be ist wich­tig, anspruchs­voll, unver­zicht­bar. Und da wir Beschäf­ti­gungs­si­che­rung bis 2029 haben, muss sich auch kei­ner um seine Zukunft Gedan­ken machen.

Beneiden Sie Unternehmen wie Tesla oder BYD, die auf der grünen Wiese in die neue Mobilitätswelt starten und keine Transformation stemmen müssen?

Sicher­lich haben die neuen Wett­be­wer­ber eine gewis­se Chan­ce dadurch, dass sie ganz neu anfan­gen. Aber auf der ande­ren Seite müs­sen sie auch erst mal ska­lie­ren und eine Infra­struk­tur rund um Pro­duk­ti­on, Ver­trieb, After Sales und Finan­zie­rung auf­bau­en, um wirk­lich rele­vant zu wer­den. Wir pro­du­zie­ren zehn Mil­lio­nen Fahr­zeu­ge im Jahr. Wir haben die Geschäfts­pro­zes­se für zehn Mil­lio­nen Fahr­zeu­ge. Wir haben die Han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on für zehn Mil­lio­nen Fahr­zeu­ge. Und das, was wir trans­for­mie­ren müs­sen, das müs­sen die neuen Wett­be­wer­ber erst noch auf­bau­en. Die müs­sen Fabri­ken hoch­fah­ren, Ersatz­teil­pro­zes­se ent­wi­ckeln und haben es genau­so schwer, an Roh­stof­fe zu kom­men, wie wir. Beide Wege sind her­aus­for­dernd. Und wenn man sich kon­se­quent trans­for­miert, hat man eine sehr, sehr gute Chan­ce, mit den neuen Wett­be­wer­bern Schritt zu hal­ten – oder sogar noch bes­ser zu werden.

Wofür geben Sie als Konzernvorstand eigentlich am liebsten Geld aus?

Für Zukunfts­pro­jek­te wie den Hoch­lauf unse­rer Bat­te­rie­fa­bri­ken, die Soft­ware­ak­ti­vi­tä­ten und beson­ders für die Erwei­te­rung unse­rer welt­wei­ten Prä­senz. In der Pla­nung bis 2026 geben wir 159 Mil­li­ar­den für Inves­ti­tio­nen aus, davon gehen aktu­ell bereits 56 Pro­zent in die Zukunfts­fel­der. Und seien Sie ver­si­chert: Das Ver­hält­nis wird sich in den kom­men­den Jah­ren immer deut­li­cher in diese Rich­tung verschieben.

Und wofür geben Sie privat am liebsten Geld aus?

Am bes­ten für Geschen­ke für die Fami­lie, für Freun­de – wie zuletzt an Weih­nach­ten. Ich beschen­ke gerne.

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