Konsumgüter, Handel

Tattoo-Transformation

Familienunternehmen mit einem traditionsreichen, erfolgreichen Produkt bleiben sich gern treu. Der Wandel fällt da schwer. Es sei denn, die nächste Generation zeigt viel Mut. Wie bei Edding.

09/2022

Porsche Consulting/Marco Prosch

Vor­stän­de soll­ten Vor­bil­der für ihre Mit­ar­bei­ten­den sein – mög­lichst authen­tisch, plas­tisch, über­zeu­gend. Doch müs­sen sie sich des­halb gleich täto­wie­ren las­sen? CEO Per Leder­mann, Jahr­gang 1975, hat es getan, mit eige­ner Tinte und im Dienst der Trans­for­ma­ti­on. Der Umbruch begann an sei­nem lin­ken Oberarm.

Aber der Reihe nach: Als die Firma Edding 1960 von zwei Jung­un­ter­neh­mern mit mini­ma­lem Start­ka­pi­tal (500 Deut­sche Mark – rund 260 Euro) gegrün­det wurde, war nicht abseh­bar, dass „Edding“ wenig spä­ter zum inter­na­tio­na­len Syn­onym für einen hoch­wer­ti­gen Filz­schrei­ber wer­den und allein inner­halb der ers­ten zehn Jahre 100 Mil­lio­nen Stif­te ver­kau­fen würde. Heute sind es ins­ge­samt rund 150 Mil­lio­nen pro Jahr.

Familienunternehmer Per Ledermann inmitten seiner Permanentmarker. Das Traditionsprodukt von Edding ist im klassischen Büroartikel-Segment international ein fester Bestandteil.Porsche Consulting/Marco Prosch

„Per­ma­nent­mar­ker“ heißt der Ober­be­griff für diese Schreib­ge­rä­te mit dem auf­fäl­li­gen brei­ten Strich heute. Ursprüng­lich waren sie ein Arbeits­mit­tel in Lagern, Logis­tik und Spe­di­tio­nen. Im pro­fes­sio­nel­len Ein­satz zum schnel­len und deut­li­chen Beschrif­ten von Pake­ten. Dann ent­deck­ten Künst­ler, Schnell­zeich­ner, Wer­be­agen­tu­ren und Pri­vat­leu­te den Stift. Und er durf­te jahr­zehn­te­lang bei Vor­trä­gen, Semi­na­ren oder Work­shops nicht feh­len, wenn zum Bei­spiel Flip­charts zu beschrif­ten waren. Kurz gesagt: ein weit­räu­mi­ger Markt mit gesi­cher­ter Nachfrage.

Vom Keller bis zur Börse

Ein Porträt von Unternehmensmitgründer Volker Detlef Ledermann, gemalt im Tattoo-Stil. Im Jahr 2005 trat Per Ledermann in die Fußstapfen seines Vaters. Er trimmt und transformiert Edding Richtung Zukunft.Porsche Consulting/Marco Prosch
Das Familienunternehmen Edding wurde 1960 von den Schulfreunden Carl-Wilhelm Edding und Volker Detlef Ledermann in einem Hamburger Souterrain-Büro gegründet. 1986 zog sich Mitgründer Edding zurück und trennte sich von seinen Anteilen. Die Transaktion wurde durch den Börsengang finanziert. An der Aktiengesellschaft hält Familie Ledermann die Mehrheit. Die Stammaktien des Unternehmens sind in Familieneigentum, nur die stimmrechtslosen Vorzugsaktien werden an der Börse gehandelt. Im Jahr 2005 folgte Gründersohn Per Ledermann seinem Vater und wurde zunächst Vorstandsmitglied (Finanzen) des international ausgerichteten Unternehmens mit Firmensitz in Ahrensburg, nordöstlich von Hamburg. Edding erwirtschaftete im Jahr 2021 einen Konzernumsatz in Höhe von 148,6 Millionen Euro und beschäftigt rund 700 Menschen. Mit den Marken Edding, Legamaster und Playroom bietet das Unternehmen hochwertige Produkte und Lösungen für den privaten und gewerblichen Bedarf. Bekanntgeworden durch seine Permanentmarker, umfasst das Sortiment der Produktmarke Edding Marker und Schreibgeräte für zuhause, das Büro, die Medizin und die industrielle Anwendung sowie Produkte für die Umsetzung kreativer Ideen bis hin zu Tätowiertinte und Nagellack. Innovative digitale Anwendungen ergänzen das Portfolio. Legamaster entwickelt und vertreibt Produkte im Bereich der visuellen Kommunikation: Zum Sortiment zählen klassische Produkte wie Flipcharts und Whiteboards, aber auch elektronische Lösungen wie interaktive E-Screens. Die Marke Playroom, die seit 2021 zum Edding Konzern gehört, steht für innovative Konzepte und Dienstleistungen zur Förderung von Innovationskultur für Unternehmen und Organisationen im Bereich New Work.

Die Logis­tik benö­tigt weit­aus weni­ger Edding-Mar­ker. Und immer häu­fi­ger blei­ben die bunt bestück­ten Mode­ra­ti­ons­kof­fer der Ver­an­stal­ter bei Schu­lun­gen zuge­klappt. Denn auch hier gilt wie fast über­all: Die Zukunft ist digi­tal. Der Trend zur papier­lo­sen Kom­mu­ni­ka­ti­on macht Schreib­ge­rä­te künf­tig höchst­wahr­schein­lich ent­behr­lich. Bereits im Jahr 2020 brach der Büro­ar­ti­kel­markt um 25 Pro­zent ein. Der Abwärts­trend setzt sich fort – nicht zuletzt, weil Unter­neh­men auch aus Nach­hal­tig­keits­grün­den auf Papier und Schrei­ber ver­zich­ten. Des­halb befin­det sich die seit 1986 bör­sen­no­tier­te Edding AG mit­ten in einer gro­ßen Trans­for­ma­ti­on. Das Unter­neh­men muss sich neu erfin­den, viel­sei­ti­ger werden.

„Mit unseren Produkten haben wir Menschen schon immer dabei geholfen, sich auszudrücken – bis hin zur so wichtigen freien Meinungsäußerung.“, sagt Per Ledermann, CEO der Edding AG.Porsche Consulting/Marco Prosch

Das Wei­chen­stel­len begann 2016. Da stell­te Per Leder­mann sich und sei­nen Füh­rungs­kräf­ten die Frage: „Trau­en wir uns zu, neue Dinge aus­zu­pro­bie­ren?“ Dann beauf­trag­te der Sohn des Edding-Grün­ders eine junge Mas­teran­din damit, Indus­trie-Inter­views zu füh­ren. Die Stu­den­tin, die sich mit dis­rup­ti­ven Tech­no­lo­gien aus­ein­an­der­setz­te, soll­te klä­ren, wo und wie Unter­neh­men Edding-Mar­ker nut­zen und auf wel­che Weise sie die Schrei­ber künf­tig erset­zen wol­len. Schnell wurde die Vor­ah­nung bestä­tigt, dass die Filz­stif­te im klas­si­schen gewerb­li­chen oder indus­tri­el­len Anwen­dungs­be­reich kaum noch Zukunft haben. Und die Mas­teran­din hatte Stoff für ihre Dok­tor­ar­beit. Arbeits­ti­tel: „Inno­va­ti­ons­kul­tur bei Edding“. Ein Voll­tref­fer. Kurze Zeit nach der Pro­mo­ti­on mach­te Leder­mann die ehe­ma­li­ge stu­den­ti­sche Mit­ar­bei­te­rin zur Lei­te­rin des neu for­mier­ten Cor­po­ra­te Inno­va­ti­on Managements.

Dem Edding-Chef der zwei­ten Gene­ra­ti­on ist klar: „Wir ste­hen vor enor­men Ver­än­de­run­gen. Nur für Design Thin­king wird man Mar­ker von uns kaum brau­chen. Es geht auch nicht mehr nur darum, Farbe auf eine Ober­flä­che zu brin­gen.“ Und den­noch sieht Leder­mann die jahr­zehn­te­lan­ge Erfah­rung sei­nes Unter­neh­mens als Wert an sich: „Mit unse­ren Pro­duk­ten haben wir Men­schen schon immer dabei gehol­fen, sich aus­zu­drü­cken – bis hin zur so wich­ti­gen frei­en Mei­nungs­äu­ße­rung.“ Kom­mu­ni­ka­ti­on kennt viele Kanä­le, auch unge­wöhn­li­che. Und so kamen im Jahr 2020 Tat­toos als beson­ders mar­kan­te Inno­va­ti­on ins Spiel.

Die Burchardstraße 13 im Herzen Hamburgs – Edding-Chef Per Ledermann mit seinem Team vor dem Tattoo-Studio: Alexandru Bejenaru (links), Laura von Schwerin und Sebastian Gellwitzki (rechts).Porsche Consulting/Marco Prosch
Im Jahr 2020 eröffnete Edding das erste Tattoo-Studio, im historischen Chilehaus im Hamburger Kontorhausviertel (Altstadt). Hinter dem modern gestalteten Foyer liegen drei Behandlungsräume.Porsche Consulting/Marco Prosch
Per Ledermann ist überzeugt von der neuen Geschäftsidee. Als erster Kunde hat er sich direkt bei Eröffnung des Tattoo-Studios selbst ein Motiv stechen lassen – das Relief eines Wildreservats in Namibia.Porsche Consulting/Marco Prosch
In geschwungenen Buchstaben schreibt Tattoo Artist Alexandru Bejenaru den Markennamen Edding auf Per Ledermann’s rechten Oberarm. Ein Entwurf. Nicht ausgeschlossen, dass der CEO ihn demnächst umsetzen lässt ... Porsche Consulting/Marco Prosch

Leder­mann: „Die Idee hat­ten wir im Füh­rungs­kreis schon ein­mal im Jahr 2009 wäh­rend einer unse­rer Stra­te­gie-Näch­te bei Pizza und Bier ent­wi­ckelt, jedoch nicht wei­ter­ver­folgt.“ Viel­leicht kam der spon­ta­ne Vor­schlag damals zu früh. Die Zeit dafür war bei Edding wohl noch nicht reif. Jeden­falls schlum­mer­te der Gedan­ke gute fünf Jahre. Bis Leder­mann ihn nach dem Hin­weis eines Freun­des wie­der auf­nahm und damit in der Ahrens­bur­ger Fir­men­zen­tra­le, nord­öst­lich von Ham­burg, für einen kaum über­hör­ba­ren Pau­ken­schlag sorg­te. Er ging gleich in die Vol­len, gab einen „sie­ben­stel­li­gen Betrag“ als Start­bud­get frei, ließ Far­ben ent­wi­ckeln, die den neu­es­ten Richt­li­ni­en der Euro­päi­schen Union ent­spre­chen, stell­te im Jahr 2020 fünf Täto­wie­rer, so genann­te „Tat­too Artists“, ein und eröff­ne­te im his­to­ri­schen Chi­le­haus in Ham­burgs fei­ner Innen­stadt das erste eige­ne Tat­too-Stu­dio. Und: ließ sich erst­mals selbst ein Tat­too ste­chen – was bis dahin in der Fami­lie Leder­mann nicht üblich war, außer bei den Nef­fen des Chefs. „Wenn wir Neues wagen, muss ich es auch selbst aus­pro­bie­ren“, sagt Leder­mann, der sich inzwi­schen Stu­dio­er­öff­nun­gen in wei­te­ren Metro­po­len vor­stel­len kann.

Ganz ohne Gegen­wind blieb das neue Geschäfts­mo­dell – ein eta­blier­ter Her­stel­ler wird Dienst­leis­ter – aller­dings nicht: „Die Tat­too-Szene hat anfangs skep­tisch reagiert, weil erst­mals ein gro­ßes Unter­neh­men in die­sen klein­tei­li­gen Markt ein­dringt.“ Und auch in der Edding-Beleg­schaft gab es durch­aus Vor­be­hal­te: „Unser tra­di­tio­nel­les Orches­ter war über Jahr­zehn­te ein­ge­spielt, hatte per­fekt funk­tio­niert“, sagt Leder­mann, „und plötz­lich kamen frem­de Klän­ge dazu. Das hat für Unru­he und Kri­tik in der Firma gesorgt – wie eine wilde Rock­band, die den Auf­tritt der Phil­har­mo­ni­ker stört.“

Zwischen Chefsessel und Zebra-Farm

„Gefühlt bin ich irgendetwas zwischen Naturforscher und Familienunternehmer“, sagt Per Ledermann, CEO der Edding AG. Porsche Consulting/Marco Prosch
Per Ledermann, Jahrgang 1975, ist seit 2005 Vorstandsmitglied (Finanzen) und seit 2009 CEO der Edding AG. Schon als 15-Jähriger spielte der Sohn des Mitgründers mit dem Gedanken, das Familienunternehmen eines Tages zu übernehmen. Aus dem Wunsch heraus, sich zunächst wissenschaftlich zu betätigen, zog er nach dem Abitur das Studium der Rechtswissenschaften dem BWL-Studium vor. Seine Fähigkeit für Multitasking und Lösungskreativität zeigte sich früh: Mit knapp 20 Jahren wurden der heute vierfache Familienvater und seine Frau Anika Eltern von Sohn Yannick und Tochter Elisa. Dass beide parallel studierten, stand für das junge Paar außer Frage. Nachdem Ledermann sein erstes Staatsexamen in Jura abgeschlossen hatte, lebte die junge Familie für zwei Jahre in den USA. Dort absolvierte er seinen Master of Business Administration und Master in International Management. Anschließend zog es Per Ledermann und seine Familie weiter in den Mittleren Osten. Hier war er als Strategieberater tätig, bevor er die Nachfolge seines Vaters, Unternehmensgründer Volker Detlef Ledermann, antrat und den Familienbetrieb übernahm. Der große Drang zum Reisen und die ausgeprägte Verbundenheit zur Natur und der Tierwelt wurden Ledermann schon früh durch seine Eltern in die Wiege gelegt. Einen besonderen Stellenwert hat der Kontinent Afrika für die Familie: Die Eltern Susanne und Volker Detlef Ledermann verliebten sich in die Schönheit Afrikas und engagierten sich dort für den Erhalt der vom Aussterben bedrohten Hartmann-Bergzebras. Die Liebe zu Afrika zeigt sich auch auf Per Ledermanns linkem Oberarm: Dort ist das Relief des Wildreservats verewigt, das die Familie in Namibia betreibt.

Doch der Sohn des Grün­ders, den eini­ge lang­jäh­ri­ge Mit­ar­bei­ten­de seit sei­ner Kind­heit ken­nen, ging auf die Men­schen im Unter­neh­men zu. Klei­ne drei- bis vier­köp­fi­ge Pro­jekt­teams wur­den gegrün­det und der Chef war per­sön­lich dabei: „Ich habe mich ein­ge­bracht, um Brü­cken zu schaf­fen – beim Umbau von einer eher hier­ar­chi­schen zu einer agi­len Organisation.“

Alyssa Cetin, Quality Control Manager, schreibt Prüfwerte auf eine Glasscheibe. In der Zentrale erfolgt die Qualitätssicherung der Edding-Produkte. Porsche Consulting/Marco Prosch

Ganz so leicht, wie es klin­gen mag, war die Pra­xis des Wan­dels natür­lich nicht. Da gibt sich Leder­mann sehr offen und selbst­kri­tisch: „Trotz mei­ner Mit­ar­beit in den diver­sen Teams merk­te ich: Ich bin immer noch zu wenig sicht­bar. Des­halb habe ich Ein­zel­ge­sprä­che ange­setzt – um von mei­nen Leu­ten zu ler­nen. Aber auch um sie zu über­zeu­gen.“ Die Mit­ar­bei­ten­den merk­ten, wie ernst dem Chef die Trans­for­ma­ti­on ist. Und er erkann­te zugleich: „Wir hat­ten uns zu viele Inno­va­ti­ons­the­men auf­ge­la­den. Es gab zu gro­ßen Abstand zwi­schen Füh­rung und Team. Manch­mal woll­te ich mit dem Kopf durch die Wand. Oder ich bin Kon­flik­ten auch mal aus dem Weg gegangen.“

Seit 2015 gehören auch Nagellacke zur Produktpalette von Edding. Die primären Abnehmer sind große Drogeriemarktketten.Porsche Consulting/Marco Prosch
Wie bei den Markern, schwört Edding bei den Nagellacken auf den „Permanent“-Faktor: „ultraresistent bei einer hohen Farbintensität“.Porsche Consulting/Marco Prosch
Edding-Mitarbeiterin Laura von Schwerin im Tattoo-Studio in Hamburg. Für den Fotografen hat sie ihre Fingernägel in fünf der leuchtenden Edding-Farben frisch lackiert.Porsche Consulting/Marco Prosch

Gute Kom­mu­ni­ka­ti­on kann einen wich­ti­gen Bei­trag zu erfolg­rei­cher Trans­for­ma­ti­on leis­ten. Eine Mit­ar­bei­te­rin erfand die Stra­tegy Spi­rits – abend­li­che, ent­spann­te Tref­fen bei einem Glas Wein. Die Run­den abseits der Agen­da erleich­ter­ten es, den neuen Weg zu fin­den und alle mit­zu­neh­men. Natür­lich, mit Tat­too-Far­ben allein könn­te das Unter­neh­men weder leben noch wach­sen. Aber Edding bleibt den Far­ben treu, nur anders. Inzwi­schen gehört sogar Nagel­lack zum Port­fo­lio. Große Dro­ge­rie­markt­ket­ten sind pri­mär die Abnehmer.

Neben rei­ner Kos­me­tik zielt Edding wei­ter auf die lang­jäh­ri­ge Kund­schaft aus Wirt­schaft und Indus­trie. Dies­mal jedoch sind die Offer­ten für pro­fes­sio­nel­le Anwen­dun­gen digi­tal: Der „Edding Code“ ist eine Tech­no­lo­gie, die leit­fä­hi­ge digi­ta­le Tinte ein­setzt. Damit kön­nen Fäl­schun­gen von Doku­men­ten wie Füh­rer­schei­nen auf­ge­deckt oder die Echt­heit von Mar­ken­pro­duk­ten elek­tro­nisch über­prüft wer­den. Für sol­che Inno­va­tio­nen nut­zen die Nord­deut­schen die enge Zusam­men­ar­beit mit Start-ups, die sie immer wie­der zum Aus­tausch und in wech­seln­der Beset­zung in die Fir­men­zen­tra­le einladen.

Neue Partnerschaften, mehr Innovation: Edding lädt Start-ups zum „Co-Creation Day“ in die Unternehmenszentrale in Ahrensburg ein. Das Ziel: neue, innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln und langfristige Partnerschaften zu schließen. Porsche Consulting/Andreas Laible
Ertuğrul Durukan, Co-Gründer von Smarta NureArt, berät sich mit Lisa Guo von der Business Unit Creative & Home von Edding.Porsche Consulting/Andreas Laible
Jan Ledermann, Neffe des Firmenchefs, im Austausch mit Jasper Kolb von der Berliner Künstler-Plattform The Makery.Porsche Consulting/Andreas Laible
Dide Durukan von Smarta NureArt gibt ihrer Wettbewerbspräsentation noch schnell den letzten Schliff.Porsche Consulting/Andreas Laible
Johann Desjardins von ekoo.co im Workshop mit Judith Forster und Piril Unutkan, beide aus der Business Unit Office & Industry Supplies von Edding. Porsche Consulting/Andreas Laible
Jasper Kolb, Co-Founder der Kreativ-Workshop-Plattform themakery.de, dokumentiert die Ergebnisse des Creative-Brainstormings. Porsche Consulting/Andreas Laible

Eines die­ser jun­gen Unter­neh­men ist Pris­ma­de, der Erfin­der der digi­ta­len Tinte. 2018 hat Edding den New­co­mer zu 50 Pro­zent über­nom­men. Und für die Ent­wick­lung und den inter­na­tio­na­len Ver­trieb inno­va­ti­ver digi­ta­ler Tech­no­lo­gien wurde in Mün­chen eine Busi­ness Unit, die Indus­tri­al Tech Solu­ti­ons, gegrün­det. Zu deren Port­fo­lio gehört auch der „Edding Com­pact Prin­ter“ – ein klei­ner, in Deutsch­land her­ge­stell­ter Dru­cker für Kenn­zeich­nun­gen in indus­tri­el­len Pro­duk­ti­ons­pro­zes­sen. Leder­mann: „Das ist sozu­sa­gen der klas­si­sche Edding in einer digi­ta­len und voll kon­nek­ti­ven 4.0‑Version.“ Womit der Mar­ker-Spe­zia­list fast wie­der bei sei­nen Wur­zeln wäre. Doch das ist nicht das Ende der Trans­for­ma­ti­on eines welt­be­kann­ten Schreib­wa­ren­her­stel­lers. Leder­mann, der im Urlaub mit sei­ner Fami­lie ein Wild­re­ser­vat in Nami­bia als Natur­schutz­ge­biet hegt und pflegt, weiß: „In vie­ler­lei Hin­sicht sind wir noch mit­ten­drin im Veränderungsprozess.“

Was sich aller­dings nicht ändern darf, ist die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit der Fir­men­ge­schich­te. Und so zieht Leder­mann, ganz Fami­li­en­un­ter­neh­mer, zum Abschied ein Erb­stück, den schwar­zen Mar­ker „Edding Nr. 1“, aus der Hosen­ta­sche, dreht mit zwei Fin­gern blitz­schnell die Flü­gel­kap­pe ab und schreibt den Fir­men­na­men auf ein Stück Papier. Der Stift ist ein Ori­gi­nal, sechs Jahr­zehn­te alt und funk­tio­niert noch immer. „Schon unser ers­ter Mar­ker war nach­füll­bar“, sagt der Chef, der den Fir­men­na­men tra­di­tio­nell klein- und Nach­hal­tig­keit großschreibt.

Der erste schwarze Marker „Edding Nr. 1“ – ein mehr als 60 Jahre altes Original. Noch heute gilt der Markenname Edding als das internationale Synonym für einen hochwertigen, nachfüllbaren Filzschreiber. Porsche Consulting/Marco Prosch

Edding auf neuen Wegen – 5 Fragen zur Transformation

1

Wann war klar, dass der Edding-Faserschreiber nicht mehr das alleinige Geschäftsmodell sein kann und sich das Unternehmen wandeln muss?

Per Ledermann: Den Grundstein dafür hat eine eigene Studie gelegt, die wir bereits im Jahr 2012 mit 25 führenden Köpfen in der Industrie – aus den Bereichen Office-Produkte, Schreibgeräte, aber auch dem Handel – durchgeführt haben. Ziel der Untersuchung war es, zu analysieren, wie sich der Markt bis 2020 verändert. Das Ergebnis hat uns erschüttert: Die Prognose war, dass der Markt um ein Drittel einbrechen wird. Gründe dafür sind vor allem die Digitalisierung, durch die wesentliche Anwendungen verschwinden, aber auch die Commoditisierung. Damit ist gemeint, dass verstärkt Handelsmarken entstehen, die für einen steigenden Preisdruck sorgen. Das war der Moment, der uns dazu bewegt hat, große Veränderungen im Unternehmen anzustoßen.

2

Was waren die ersten Schritte im Transformationsprozess von Edding?

Ledermann: Wichtig für den Transformationsprozess war der Blick nach außen: Was passiert am Markt eigentlich? Und dann zu schauen, wie hoch das Risiko dabei ist. So sind wir auf neue Chancen gestoßen. Ein erster wichtiger Schritt war, uns viel mehr auf die Zielgruppe des Endverbrauchers zu fokussieren. Einen totalen Überraschungserfolg konnten wir mit unserer ersten Produktneuheit, den Acryl-Sprays, erzielen. Es ging darum, den Kreativen zuhause beim Gestalten zu helfen. Und wir wollten – neben dem Produkt – auch Inspirationen zur Gestaltung anbieten, sowohl im Einzelhandel als auch im Online-Vertrieb. Unsere Message: Habt den Mut, Neues auszuprobieren. Das ist etwas, was jede und jeder kann. Irgendwann ist das Konzept total abgehoben: Zu Beginn hatten wir geplant, 300.000 Euro im Jahr umzusetzen. Inzwischen erzielen wir einen mittleren siebenstelligen Umsatz jedes Jahr. Das hat zu einer Aufbruchstimmung geführt. Darauf können wir die nächsten Themen aufsetzen – die noch ein Stück abenteuerlicher sind.

3

Wie haben die Mitarbeitenden auf den Wandel reagiert?

Ledermann: Offen gesagt: Als die Idee aufkam, unser bestehendes klassisches Sortiment um neue Produktbereiche zu erweitern, ist das in der Organisation erst einmal nicht auf volle Zustimmung gestoßen. Jeder bei Edding war mit eigenen Themen beschäftigt und vollständig ausgelastet. Es musste sich erst ein eigenes Projektteam finden, das Lust hatte, an der Entwicklung der neuen Produktinnovationen mitzuarbeiten. Irgendwann waren die neuen Produkte dann da und sind Teil unseres Kreativangebots geworden. Daraus ist dann schlussendlich ein Muster entstanden. Wenn man vor großen Veränderungsprozessen steht, braucht es Mutmacher, und unsere Acryl-Sprays für künstlerische Gestaltung gehören definitiv dazu. Die haben einfach so gut funktioniert und uns Mut gemacht, die nächsten Schritte zu gehen. Inzwischen sind viele weitere innovative Produkte dazugekommen, wie zum Beispiel Nagellacke, Acrylmarker oder Tätowiertinte. Wesentlicher Teil der Transformation sind gar nicht die Produkte selbst, sondern das, was dieser Aufbruch mit den Menschen im Unternehmen macht: dass wir uns trauen, neue Dinge auszuprobieren. Wichtig dabei ist aber auch, dass wir das bestehende Geschäft nicht vernachlässigen. Davon leben wir immer noch und müssen unsere neuen Ideen finanzieren.

4

Wie sieht es bei der Nachhaltigkeit aus – kommt der vollständig kompostierbare Stift?

Ledermann: Nachhaltigkeit wird bei uns im Unternehmen ganz groß geschrieben. Wir sind stetig dabei, die Nachhaltigkeitsbilanz unserer Produkte weiter zu verbessern. Unsere Stifte waren schon immer nachfüllbar. Außerdem stellen wir gewerblichen Kunden Rücknahmeboxen zur Verfügung: Darüber können Unternehmen uns leere Stifte zurückgeben. Diese werden dann in ihre Einzelteile zerlegt und wiederverwertet. Um das Thema noch stärker auszurollen, muss eine Aufklärung der Unternehmen stattfinden. Das Komplexe ist meist, die richtigen Produkte zusammenzubringen und vor allem die Aufmerksamkeit zu schaffen. Die Herausforderung beim kompostierbaren Marker liegt in den verschiedenen Komponenten und dem System, das – anders als beim Kugelschreiber – dicht sein muss. Kompostierbare Materialien haben meistens Fasern, die in irgendeiner Form durchlässig sind: Sobald sich das Lösungsmittel den Weg durch das Material bahnt, wird der Stift trocken. Aber wir haben schon vor ein paar Jahren begonnen, die ersten Tinten auf Basis natürlicher Farbstoffe zu entwickeln. Und sind bei den Kunststoffen inzwischen so weit, dass wir mehr und mehr mit Mischkunststoffen arbeiten können. Bis zur Kompostierbarkeit ist es immer noch ein ganz schön weiter Weg. Aber es geht Schritt für Schritt voran – ich glaube, ein paar Jahre Geduld muss ich noch aufbringen.

5

Unter dem Stichwort „quo vadis“: Welche Hauptrichtung schlägt Edding in Zukunft ein? Welche Innovationen werden wir sehen?

Ledermann: Das große Thema der Zukunft ist der Bereich Collaboration & Work. Man beginnt jetzt schon, immer mehr ganzheitlich zu schauen, wie findet die Zusammenarbeit statt – und wir wollen uns in dem Bereich Schritt für Schritt weiterentwickeln. Gerade die letzten zwei Jahre haben im Bereich der visuellen Kommunikation gezeigt, dass der Transformationsprozess eine andere Geschwindigkeit haben muss. Wir haben gerade für einen Kunden in Dubai ein Konferenzzentrum – einen sogenannten Playroom – eingerichtet, bei dem es darum geht, mithilfe digitaler Technologien Innovationsprozesse im Raum abzubilden. Abgestimmt auf den Kundenbedarf schauen wir uns an, welche Hard- und Software wie unterstützen kann, und statten den Raum entsprechend aus. Gerade im Bereich Collaboration & Work entstehen im Moment neue Ideen – auch außerhalb von Edding. Hier sehen wir es als unsere Aufgabe, die richtigen Partnerschaften und Kooperationen zu finden. Unser Ziel bei Edding ist es, dem Kunden eine Gesamtlösung aus einer Hand zur Verfügung zu stellen. Aber auch im klassischen Kreativbereich gibt es viele coole Innovationen und Ideen. Neulich kam ein Mitarbeiter von einem Geschäftstermin aus Holland zurück, bei dem er gesehen hatte, wie man im Wasser Dinge mit Farben gestalten konnte, wie ein Kunstwerk. Ich weiß nicht, ob wir jemals etwas in der Richtung machen werden. Aber das löst bei uns direkt eine Art Trüffelschwein-Mentalität aus – die nächste innovative Produktidee auf den Weg zu bringen.
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