Der „echte“ Kollege
Raus aus dem Schutzkäfig: Ein Jungunternehmer baut hochsensible Roboter, die mit Menschen hautnah und „auf Augenhöhe“ zusammenarbeiten. Das Auftragsbuch ist gefüllt. Große Investoren sind überzeugt: Das wird ein Erfolg!
11/2025

Fragt man den Start-up-Unternehmer David Reger, was für ihn ein „echter Kollege“ ist, verblüfft die blitzschnelle Antwort in der ersten Sekunde: „Ein kognitiver Roboter!“, sagt der Mann aus der südwestdeutschen Kleinstadt Metzingen. Und Reger legt gleich nach: „Roboter sitzen nicht im Metaversum fest. Sie können ganz reale Aufgaben im Alltag übernehmen und uns das Leben und die Arbeit deutlich erleichtern.“
Klar, in ihren Bewegungen menschenähnlich anmutende Maschinen, die in der Industrie wiederkehrende mechanische Aufgaben beim Zusammenfügen technischer Geräte selbständig ausführen oder in menschenleeren Lackierstraßen selbst bei komplizierten Aufgaben das Fachpersonal ersetzen, sind längst bekannt und gelten als Standard. Doch Roboter die „hören“, „sehen“ und sogar „denken“ können – das ist größtenteils noch ein Zukunftsszenario. Allerdings: das wird sich schnell ändern, sehr schnell, prophezeit Reger. Superschlaue Roboter, die in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, werden sich in absehbarer Zeit als unverzichtbare Bestandteil globaler Wertschöpfungsketten etablieren.

Der junge Unternehmer Reger, 1988 geboren, Typ Frontrunner, sieht sich als Vordenker und zugleich als Realisator. Als Ältester unter elf Geschwistern ist er seit Kindertagen daran gewöhnt, voranzugehen und früh Verantwortung zu übernehmen. Als junger Erwachsener wollte er raus, verbrachte einige Zeit in San Francisco. Jedoch nicht, um im Silicon Valley anzuheuern, sondern um sich als Sozialarbeiter in einer verantwortungsvollen Aufgabe für die Gesellschaft zu engagieren. Er sagt: „Ich war schon früh von der Idee getrieben, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Zurück in Europa begann in der Schweiz Regers Karriere als Gründer und Leiter von Hightech-Unternehmen in der Automations- und Robotikbranche.
Von der Forschung direkt in die Realität
Ursprünglich kam Reger als Quereinsteiger in die Industrie. Heute ist er CEO des von ihm 2019 gegründeten Unternehmens Neura Robotics GmbH. Die Firma beschäftigt nach eigenen Angaben inzwischen mehr als 1.100 Mitarbeitende. Der eigene Anspruch ist extrem hoch gesteckt und mag provokant wirken: „Unser Ziel ist es, nach SAP der nächste international erfolgreiche Multimilliardenkonzern zu werden, der aus Deutschland kommt“, erklärte Reger im Interview mit dem „Handelsblatt“. Bis zum Ziel könnte es eventuell noch eine Weile dauern. Aber bei Neura kennt man ganz offensichtlich keine kleinen Schritte. Tempo ist Trumpf.

Regers Mission: Er will schnellstmöglich „das menschliche Potenzial durch kognitive Robotik erweitern“. Und zwar mit dem Resultat, „die Arbeit sinnvoller und das Leben menschlicher zu machen“. Beispiele dafür sind Einsätze kognitiver Roboter in der industriellen Produktion genauso wie bei Geschäftsabläufen in der Verwaltung oder sogar bei alltäglichen Aufgaben in privaten Haushalten. Neura Robotics verspricht der Kundschaft: „Unsere Technologie passt sich an deine Arbeits- und Lebensweise an.“ Das Konzept dahinter: Die firmeneigene Künstliche Intelligenz „Aura“ soll humanoide Intelligenz von der Forschung direkt in die Realität bringen.
Sinne und Sensorhaut als Basisausstattung
Für den Blick auf die Realität betrat Neuras kognitiver Roboter mit dem außerirdisch anmutenden Namen 4NE1 („For Anyone“) auf der Fachmesse Automatica 2025 die Bühne in München. Gestaltet in Schwarzweiß, mit athletischem Körperbau. Bereits zu seiner Basisausstattung gehören nahezu „menschliche Sinne“, darunter sieben 3D-Kameras und die patentierte Omnisensor-Technologie. Mit dieser lassen sich Personen präzise von Objekten unterscheiden und erkennen. Damit passt sich der Roboter dynamisch seiner Umgebung an und ermöglicht kollaboratives Arbeiten mit Menschen ohne den sonst aus Sicherheitsgründen üblichen Schutzkäfig. 4NE1 ist fast so nahbar wie ein „echter Kollege“.
Die lernfähigen Hände erfüllen feinmotorische Aufgaben und prädestinieren 4NE1 sowohl für komplexe industrielle Tätigkeiten als auch für den Dienstleistungsbereich. Dank seiner leistungsstarken Gelenke hebt er laut Hersteller mühelos bis zu 100 Kilogramm schwere Lasten. Schaut man auf die Fingerspitzen von Kollege 4NE1, entdeckt man künstliche Haut. „Artificial Skin“ erkennt Berührungen bereits kurz vor dem physischen Kontakt mit der Sensorhaut. Laut Neura macht das Interaktionen mit Menschen sicherer und präziser. Und der intelligente Dual-Batterieantrieb garantiert einen pausenlosen Betrieb rund um die Uhr. 4NE1 soll vielseitig einsetzbar sein – beispielsweise in der Pharma-Produktion genauso wie in der Warenlogistik oder als Assistent in der Altenpflege. Die Investition in humanoide Roboter könnte sich für Arbeitgeber schnell amortisieren, denn die Einstiegspreise beginnen inzwischen bei 60.000 Euro je Exemplar.
5 Millionen Roboter bis 2030
„Als Neura sind wir nicht nur Pionier auf der Hardwareseite, sondern entwickeln auch die dahinterliegende Software und die Künstliche Intelligenz. Wir bauen hier, mitten in Europa, die nächste Evolutionsstufe der Robotik. Nicht als Science-Fiction, sondern für den Alltag von Millionen Menschen“, sagt David Reger und betont: „Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, fünf Millionen Roboter bis 2030 auszuliefern – für Industrie, Dienstleistung und zuhause. Damit leisten wir für die Robotik, was das iPhone für das Smartphone getan hat.“

Apple und SAP – das sind die Maßstäbe, an der sich Regers Vision orientiert. Außer guten Ideen und schneller Umsetzung braucht der Gründer auch viel Geld. Im Januar 2025 sammelte er 120 Millionen Euro bei Investoren ein. Die Anleger überzeugte er mit einem Blick in die Bücher: Laut Neura hatte der Auftragsbestand zu diesem Zeitpunkt einen Wert von mehr als einer Milliarde Euro. „In Deutschland müssen wir schnell begreifen, dass man sehr viel investieren muss, wenn man in wenigen Jahren etwas aufbauen will, wofür in der alten Welt ein Jahrhundert Zeit war“, sagt Reger.
Neura erhielt im September 2025 den begehrten Deutschen Gründerpreis in der Kategorie „Aufsteiger“. Vergeben wird der Preis von Porsche, den Sparkassen, dem ZDF und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Ich wollte immer etwas verändern und bin überzeugt, dass man mit einem nächsten Schritt in der Robotik tatsächlich die Welt verändern kann“, sagte Reger bei der Preisverleihung in Berlin. Die Auszeichnung überreichte ihm ein Mann, der die industrielle Automatisierung seit Jahrzehnten beruflich begleitet: Albrecht Reimold, Vorstand für Produktion und Logistik beim Sportwagenhersteller Porsche AG. Er lobte: „Wir haben engagierte Mitmenschen und kluge Köpfe, die mit Mut, Engagement und Herzblut neue Geschäftsideen entwickeln und Unternehmen gründen, um Deutschland voranzubringen.“ David Reger ist ein passendes Beispiel dafür. Erst vor kurzem hat er angekündigt, seine Roboterproduktion, die anfänglich in China erfolgte, komplett nach Deutschland zu verlagern. Unterstützung erhält er – als Gewinner des Deutschen Gründerpreises – durch ein beratendes Team von Porsche Consulting, das dafür gemeinsam mit Neura das Innovation Lab der Managementberatung in Berlin nutzt.
Innovationen werden belohnt

