Einblick

Besser werden beim
„Mystery Coffee“

Unternehmen und Organisationen sollten die ständige Fortbildung ihrer Teams selbst in die Hand nehmen. Wie das Personal mit Freude lernt – dafür gibt es gute Beispiele.

08/2024

Warum nicht einmal mit einem Menschen aus dem Kollegenkreis zum Kaffee verabreden, den man noch nie getroffen hat? Bei der Deutschen Bank gehört spontanes Kennenlernen zum Kern der innerbetrieblichen Weiterbildung.JURA

Egal, ob Hand­werk, Han­del, Indus­trie oder Dienst­leis­tun­gen – auch lange nach der Berufs­aus­bil­dung gewinnt regel­mä­ßi­ges, struk­tu­rier­tes Ler­nen am Arbeits­platz zuneh­mend an Bedeu­tung. Für Unter­neh­men zählt hoch qua­li­fi­zier­tes Per­so­nal, das auf aktu­el­lem Wis­sens­stand und kom­pe­tent trai­niert ist, zu den wich­tigs­ten Wett­be­werbs­fak­to­ren. Schließ­lich erwar­tet die Kund­schaft inno­va­ti­ve Pro­duk­te und Leis­tun­gen eben­so wie intel­li­gen­te Lösun­gen. Dafür müs­sen Fir­men, ob klein oder groß, ihre Geschäfts­mo­del­le ver­än­dern, neue Tech­no­lo­gien inte­grie­ren und zusätz­li­che Kom­pe­ten­zen aufbauen.

Das Inno­va­ti­ons­tem­po ist hoch. Bedeu­tet: Die Zeit ist knapp. Jetzt sind Per­so­nal­ver­ant­wort­li­che gefor­dert, smar­te, hoch fle­xi­ble Ange­bo­te für Qua­li­fi­zie­run­gen und Wei­ter­ent­wick­lun­gen der Beleg­schaft zu schaf­fen. Das ist nicht nur eine klas­si­sche Orga­ni­sa­ti­ons­auf­ga­be. Es geht um Inhal­te. Und um adäqua­te Päd­ago­gik. Statt Fron­tal­un­ter­richt mit Trai­nern rücken – bei geeig­ne­ten The­men – digi­ta­le Semi­na­re mit indi­vi­du­el­ler Erfolgs­kon­trol­le in den Vor­der­grund. Sol­che Online-Schu­lun­gen erlau­ben Fle­xi­bi­li­tät und sind öko­no­misch. Sie ver­lan­gen aber auch „Selbst­lern­kom­pe­tenz“. Anders gesagt: Oft muss die Lust zu ler­nen erst auf­ge­baut oder zumin­dest geför­dert wer­den. Und gera­de beim auto­ma­ti­sier­ten Trai­ning braucht es regel­mä­ßi­ges Moni­to­ring und kluge Anrei­ze, um das Per­so­nal auf Dauer zu moti­vie­ren. Wei­ter­bil­dung muss sich für die Teil­neh­men­den loh­nen. Nicht nur finan­zi­ell auf dem Gehalts­zet­tel, son­dern auch durch Chan­cen zur Wei­ter­ent­wick­lung, neue Auf­ga­ben, mehr Ver­ant­wor­tung oder zum Bei­spiel durch mehr Gestaltungsspielraum.

Kompetenz aus eigenen Reihen

Für inner­be­trieb­li­che Bil­dungs­auf­ga­ben braucht es päd­ago­gi­sches Fach­per­so­nal – sowohl für die Ent­wick­lung von Lern­pro­gram­men als auch für die Rea­li­sa­ti­on. Pra­xis­nä­he ist dabei einer der Erfolgs­fak­to­ren. Des­halb set­zen immer mehr Unter­neh­men dar­auf, Schu­lungs­kräf­te aus den eige­nen Rei­hen zu rekru­tie­ren und für die neuen Auf­ga­ben im Bil­dungs­be­reich umfas­send zu qua­li­fi­zie­ren. Das kommt gut an. Denn eige­ne Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen wir­ken beson­ders authen­tisch. Das erhöht bei den Teil­neh­men­den die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Schu­lungs­the­men. Orga­ni­sa­to­risch gebün­delt wer­den soll­ten die Bil­dungs­an­ge­bo­te auf einer zen­tra­len Lern­platt­form, die allen Mit­ar­bei­ten­den offensteht.

Die „Ler­nen­de Orga­ni­sa­ti­on“ ist zwar längst kein neuer Begriff mehr, er muss aber in sei­ner Aus­prä­gung neu inter­pre­tiert wer­den, zumin­dest stel­len­wei­se. Wie das gehen kann, zeigt die Deut­sche Bank. Als größ­tes deut­sches Kre­dit­in­sti­tut und als glo­bal „sys­tem­re­le­vant“ ein­ge­stuf­tes Geld­haus soll sie hohen Maß­stä­ben gerecht wer­den. Nach eige­nen Anga­ben befin­det sich die Deut­sche Bank in einer kon­ti­nu­ier­li­chen Wei­ter­ent­wick­lung „von einer Kul­tur der Exper­ten zu einer Kon­junk­tur der fle­xi­bel Ler­nen­den“. Was steckt dahinter?

Autor Ninjo Lenz ist Partner bei der Managementberatung Porsche Consulting und spezialisiert auf strategische Personalthemen. Porsche Consulting/Andreas Laible

Um den Men­schen bei der Bank zu hel­fen, sich beruf­lich und per­sön­lich wei­ter­zu­ent­wi­ckeln und ihre Kar­rie­re vor­an­zu­trei­ben, ist Ler­nen ein Kern­ele­ment der Per­so­nal­stra­te­gie der Deut­schen Bank. Die Frank­fur­ter nen­nen das „bes­ser wer­den im Bes­ser­wer­den“. Basis ist ein anspre­chen­des, per­so­na­li­sier­tes und abwechs­lungs­rei­ches Lern­an­ge­bot. Es soll allen Mit­ar­bei­ten­den in jeder Phase ihrer Kar­rie­re zugäng­lich sein. Und es muss zu den jewei­li­gen Kom­pe­ten­zen pas­sen. Denn neben Finanz­fach­kräf­ten gibt es bei den Berufs­bil­dern in dem Geld­haus viele ande­re Qua­li­fi­ka­tio­nen – dar­un­ter Inge­nieur­we­sen, Recht, Pro­jekt­ma­nage­ment und Sicherheit.

„Lear­ning­Hub“ heißt die Lern­platt­form, die allen Beschäf­tig­ten der Deut­schen Bank mit­hil­fe intel­li­gen­ter Tech­no­lo­gien indi­vi­du­el­le Inhal­te vor­schlägt. Hier kön­nen Mit­ar­bei­ten­de ihre Fähig­kei­ten genau in den Berei­chen aus­bau­en, die sie wei­ter­ent­wi­ckeln möch­ten. Und wenn ihnen Lern­in­hal­te gefal­len, kön­nen sie im Kol­le­gen­kreis Wer­bung machen, indem sie Lern­res­sour­cen emp­feh­len oder tei­len. Sie kön­nen Grup­pen bei­tre­ten, zusam­men­ar­bei­ten oder auf Exper­ten­wis­sen zugrei­fen. Nahe­zu eine Mil­li­on Res­sour­cen wur­den allein im Jahr 2023 von der Beleg­schaft genutzt. Das Credo der Deut­schen Bank: Ler­nen heißt nicht nur, sich neues Wis­sen anzu­eig­nen. Ler­nen bedeu­tet auch, sich per­sön­lich und beruf­lich wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Nur so las­sen sich die nöti­gen Fähig­kei­ten auf­bau­en, um mit dem Ver­än­de­rungs­tem­po Schritt zu halten.

Was Lernen attraktiver macht

Die digi­ta­len Lern­pro­gram­me sind orts- und tages­zeit­un­ab­hän­gig auf der Platt­form abruf­bar. Posi­ti­ver Effekt: Neun von zehn Mit­ar­bei­ten­de nut­zen im Jahr 2023 bereits das Ange­bot. Ein gro­ßer Erfolg in Rich­tung „Ler­nen­de Orga­ni­sa­ti­on“, die auf der „ste­ti­gen Befä­hi­gung der Mit­ar­bei­ten­den“ basiert. Und genau das ist der Deut­schen Bank so wich­tig, dass der Vor­stand die Auf­ga­be zum wesent­li­chen Bestand­teil der Füh­rungs­agen­da erklärt hat. Stark inves­tiert wurde unter ande­rem in Künst­li­che Intel­li­genz – mit dem Ziel, umfas­sen­de, abwechs­lungs­rei­che und rele­van­te Lern­in­hal­te anbie­ten zu kön­nen. Schließ­lich, so berich­tet die Bank, gehe es „nicht mehr um das Absol­vie­ren von Kur­sen, son­dern darum, das benö­tig­te Wis­sen und die Infor­ma­tio­nen schnell zu fin­den und in die Pra­xis umzu­set­zen“. Aber nie­mand soll beim Ler­nen und beim akti­ven Recher­chie­ren allein­ge­las­sen wer­den. Des­halb steht ein Team bereit, das mit tech­ni­scher Exper­ti­se unter­stützt, über bewähr­te Her­an­ge­hens­wei­sen infor­miert und den Zugriff auf viel­fäl­ti­ge Res­sour­cen ermög­licht. Und durch die enge Zusam­men­ar­beit mit der Fach­ab­tei­lung für Tech­no­lo­gie, Daten und Inno­va­ti­on kön­nen die Mit­ar­bei­ten­den der Bank auch auf exter­ne Inhal­te zugrei­fen. Die stam­men von welt­weit füh­ren­den Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men. Sie lie­fern zum Bei­spiel aktu­el­le For­schungs­er­geb­nis­se, Fach­wis­sen oder auch ganz neue Denkansätze.

Das Bei­spiel Deut­sche Bank macht deut­lich: Eine Ler­nen­de Orga­ni­sa­ti­on braucht star­ke Grund­la­gen, hohe Ver­füg­bar­keit und belieb­te Anrei­ze. Dar­über hin­aus muss sie so fle­xi­bel auf­ge­baut sein, dass sie mit der Zeit geht. Und zwar so schnell wie es der Fort­schritt bedingt. Die Grund­la­gen bil­den stra­te­gi­sche, päd­ago­gi­sche, tech­ni­sche und kul­tu­rel­le Ele­men­te. Die Ver­füg­bar­keit ver­langt nach leis­tungs­star­ken IT-Lösun­gen, kom­bi­niert mit gutem Trai­ning und soli­der Betreu­ung für alle User. Und die Moti­va­ti­on zum Mit­ma­chen und Dran­blei­ben soll­te durch Freu­de am Ler­nen geför­dert wer­den. Dazu gehört auch, Erreich­tes zu hono­rie­ren. Wert­schät­zung ist ein star­ker Motor in Ler­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen. Die­sen Motor soll­ten Füh­rungs­kräf­te unbe­dingt auf Tou­ren hal­ten. Denn gera­de eine emo­tio­na­le Bin­dung an das Unter­neh­men för­dert die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Arbeit­ge­ber und der Bereit­schaft, im Wett­be­werb mit ande­ren Markt­teil­neh­mern über­le­gen zu sein.

Algorithmen finden überraschende Paarungen

Wie eine Ler­nen­de Orga­ni­sa­ti­on für Abwechs­lung und gute Arbeits­at­mo­sphä­re im Tages­ge­schäft sorgt, zeigt das inno­va­ti­ve Mit­ein­an­der der Beschäf­tig­ten. So nut­zen Unter­neh­men wie die Deut­sche Bank cle­ve­re Algo­rith­men, um Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die sich viel­leicht noch gar nicht ken­nen, zu einem über­ra­schen­den Aus­tausch zusam­men­zu­brin­gen. Bei die­sem „Mys­tery Cof­fee“, einem wahl­wei­se vir­tu­el­len oder per­sön­li­chem Kaf­fee­trin­ken, dis­ku­tie­ren Fir­men­an­ge­hö­ri­ge spon­tan mit­ein­an­der, erwei­tern ihr Netz­werk und ent­de­cken im bes­ten Fall, wie sie sich gegen­sei­tig künf­tig bei ihren Auf­ga­ben unter­stüt­zen und wei­ter­brin­gen kön­nen. Auf ihren Mys­tery Cof­fee ist die Deut­sche Bank beson­ders stolz. Denn das welt­weit ver­füg­ba­re For­mat hat sich schnell zur erfolg­reichs­ten Initia­ti­ve ent­wi­ckelt, wenn es um infor­mel­les Ler­nen geht. Wenn Mit­ar­bei­ten­de bei einem Kaf­fee zusam­men­kom­men, bauen sie ihr Netz­werk aus und ler­nen ande­re Berei­che des Unter­neh­mens ken­nen. Auch die Wert­schät­zung von Unter­schie­den wird auf diese Weise geför­dert. Im Zeit­raum von 2017 bis 2023 gab es in der Bank mehr als 48.000 Tref­fen zum Mys­tery Cof­fee.

Zur Ler­nen­den Orga­ni­sa­ti­on gehört auch, vor­han­de­ne Gepflo­gen­hei­ten auf den Kopf zu stel­len und Bestehen­des zu hin­ter­fra­gen. Ein Bei­spiel dafür ist das „Rever­se Men­to­ring“. Der klas­si­sche Men­tor-Typus, eine erfah­re­ne Füh­rungs­kraft, muss zum Rol­len­tausch und wird Men­tee. Und junge Talen­te coa­chen die „alten Hasen“. Um span­nen­de Kom­bi­na­tio­nen bei den Gesprächs­part­nern zu bil­den, setzt die Deut­sche Bank auch hier auf digi­ta­le Tech­no­lo­gie. Beson­ders erfolg­reich wird die Ler­nen­de Orga­ni­sa­ti­on, wenn sich ihr nie­mand ent­zie­hen kann und will. Lebens­lan­ges Ler­nen betrifft des­halb nicht nur Ein­stei­ger, son­dern alle – auch die mit gro­ßer Erfah­rung. Die Ler­nen­de Orga­ni­sa­ti­on ist nur so gut wie der unter­neh­mens­wei­te Aus­tausch unter­ein­an­der funk­tio­niert – und zwar inter­dis­zi­pli­när und frei von hier­ar­chi­schen Hemmschwellen.

Neben dem Ein­satz von Bil­dungs­pro­gram­men soll­ten aber auch Füh­rungs­kräf­te eine wich­ti­ge ergän­zen­de Rolle in Ler­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen über­neh­men: Im Mit­tel­punkt steht der soge­nann­te Ent­wick­lungs­dia­log. In regel­mä­ßi­gen Gesprä­chen soll­ten Chefs mit ihren Team­mit­glie­dern pla­nen, wie die indi­vi­du­el­le Wei­ter­bil­dung aus­se­hen soll und die Kar­rie­re för­dern kann. Das müs­sen nicht nur Ein­zel­ge­sprä­che sein. Im Ide­al­fall bil­den sich klei­ne Grup­pen, die gemein­sam ler­nen, sich selbst orga­ni­sie­ren, aus­tau­schen und gemein­sa­me Ziele ver­fol­gen. Für eine Ler­nen­de Orga­ni­sa­ti­on kön­nen sol­che Vor­bil­der zu wich­ti­gen Eck­pfei­lern wer­den, die auch ande­re zu Eigen­in­itia­ti­ve moti­vie­ren. Wie immer im Beruf, trägt eine gute Kul­tur zur Freu­de am Arbeits­platz bei, weckt Kräf­te und stärkt die Gemein­schaft. Schließ­lich nimmt die Arbeit viel Raum im sozia­len Leben der meis­ten Berufs­tä­ti­gen ein. Da kön­nen sich Team­geist, eine gute (Lern-)Atmosphäre und attrak­ti­ve Ziele schnell aus­zah­len – für die Ange­stell­ten und für den Unternehmenserfolg.

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