Wettlauf ins Weltall
Unternehmen unterschiedlicher Branchen drängen mit Satelliten ins All. Disruption und Dynamik prägen die Branche. Ein deutlicher Trend ist die zunehmende Vertikalisierung der Angebote als „Spacedata-as-a-Service“.
10/2021
Wie gut wurde der Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 befolgt? Bilder aus dem All lieferten die Antwort auf diese Frage: Aufnahmen des europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-5P zeigten einen starken Rückgang der Stickoxidkonzentrationen über Großstädten wie Paris, Madrid oder Rom – parallel zum Herunterfahren des öffentlichen Lebens in der EU. Weniger Verkehr bedeutete weniger Abgase und damit einen Rückgang der Luftverschmutzung, wie der im Oktober 2017 gestartete Sentinel-5P mit seinen Messinstrumenten präzise erfassen konnte. Die Präzision ist dabei ein kleines Wunder: Innerhalb einer Sekunde erfasst der Satellit Lichtwellen auf einer Fläche von 2.600 Kilometern Breite mal sieben Kilometern in Flugrichtung, denn er bewegt sich in einer Höhe etwas über 800 Kilometer mit einer Geschwindigkeit von fast 28.000 km/h – also 7,8 km/s. Die ausgewerteten Daten versorgen als Nebenprodukt auch die Entscheidungsträger auf der Erde mit Informationen über die Wirksamkeit ihrer Corona-Maßnahmen.
Aber nicht nur für die Analyse politischer Entscheidungen sind die künstlichen Erdtrabanten nützlich. Satelliten und ihre Daten gehören heute zum Alltag. Ihre Einsatzgebiete erscheinen grenzenlos: „Ohne den Weltraum gibt es auf der Erde keine Konnektivität“, sagt Elodie Viau, Director of Telecommunications and Integrated Applications bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA. „Es gibt keine Navigation auf der Erde ohne den Weltraum. Es gibt keine Sicherheit und keinen sicheren Verkehr auf der Erde ohne den Weltraum. Der Weltraum ist das Herzstück all unserer Konnektivitäts- und Mobilitätssysteme. Und der Motor für große Innovationssprünge hin zu nahtlos integrierten, superintelligenten und leistungsstarken hybriden Infrastrukturen.“ Elodie Viau ist eine von elf Top-Expertinnen und ‑Experten der wichtigsten europäischen Unternehmen, die der Bereich Luft- und Raumfahrt von Porsche Consulting zur Zukunft der Weltraumindustrie in Europa befragt hat.
Drogen und Steuersündern auf der Spur
Neue Satelliten – leicht und günstig
Etablierte Unternehmen genauso wie junge Start-ups aus aller Welt arbeiten an neuen Anwendungen und entwickeln innovative Geschäftsmodelle. „Der Wettlauf ins Weltall ist eröffnet – jedes Jahr starten noch mehr Satelliten unterschiedlicher Hersteller und Betreiber in den Weltraum“, sagt Joachim Kirsch, Senior Partner für Luft- und Raumfahrt bei Porsche Consulting. Bis vor wenigen Jahren war das noch undenkbar: Der Zugang zum All und das Satellitengeschäft galten als Domäne von Regierungen und ihren Raumfahrtbehörden. Das hat sich aus mehreren Gründen geändert. Kirsch: „Preiswerte Kleinsatelliten mit einer Masse von teilweise deutlich weniger als 100 Kilogramm ermöglichen einen relativ preiswerten Zugang zum Weltraum.“
Hinzu kommen neue Raketen, die Nutzlasten zu einem Bruchteil der früheren Kosten ins All transportieren. „Kleine Trägerraketen werden – ebenso wie Kleinsatelliten – ein integraler Bestandteil der Raumfahrtökonomie sein“, prognostiziert Christian Schmierer, Co-CEO des deutschen Start-ups HyImpulse, im Gespräch mit Porsche Consulting. „Wie ein Taxi werden sie einzelne Satelliten schnell, vergleichsweise günstig und direkt in die gewünschte Umlaufbahn bringen. Auf diese Weise können einzelne Satelliten in größeren Konstellationen schnell ersetzt werden.“
Nur eine Rakete für 60 Satelliten
Dank der kleinen Satelliten und der preiswerten Raketen als Transporter breiten sich derzeit Dynamik und Disruption in der Weltraumindustrie aus. Hunderte Start-ups und industriefremde Unternehmen drängen jetzt in den Markt und besetzen Nischen entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit neuen Geschäftsmodellen, Technologien oder Anwendungsfällen. Allein im Juli 2021 gab es zwei Börsengänge mit Bewertungen über eine Milliarde Dollar: Astra Space und Planet Labs. Die möglichen Gewinne sind hoch: Der Umsatz der Weltraumbranche soll von 400 Milliarden Dollar (2019) auf 1,4 Billionen Dollar im Jahr 2030 steigen. Die neuen Anbieter versprechen unter anderem bisher ungekanntes Tempo auf dem Weg ins All. „Geschwindigkeit und Einfachheit sind der Schlüssel“, sagt Pierre-Damien Vaujour, CEO des Satellitendienstleisters Loft Orbital Solutions, gegenüber Porsche Consulting. „Es wird immer Projekte geben, die fünf Jahre dauern und eine halbe Milliarde kosten, für sehr anspruchsvolle Endnutzer mit strenger Aufsicht – aber es gibt immer mehr Nutzer in den Bereichen Verteidigung, Wissenschaft und Wirtschaft, die den Weltraum einfach als Ort für Dienstleistungen sehen und in neun Monaten im All sein wollen.“
Erfolgreiche Geschäftsmodelle finden und gestalten
Das lukrativste Segment des Satellitenmarktes ist der Verkauf der Daten an Endkunden, Spacedata-as-a-Service genannt. „Mein Top-Megatrend ist die Echtzeit-Erdbeobachtung, weil man damit Inhalte generiert, die eine Wertschöpfungskette in Gang setzen, anstatt nur Daten anderer zu transportieren“, sagt Marco Fuchs, Vorstandsvorsitzender des norddeutschen Raumfahrtsystemanbieters OHB SE und dessen Tochter OHB System AG. Der Bereich OHB Digital ist im Spacedata-as-a-Service-Geschäft tätig und bietet seinen Kunden unter anderem die Verfolgung von Schiffsbewegungen nahezu in Echtzeit oder aktuelle Klima- und Umweltdaten an.
Die Daten bringen den Umsatz
Noch steht der Umbruch der Satellitenbranche am Anfang. Alle Player haben jetzt die Chance, sich in diesem Wachstumsmarkt richtig zu positionieren. Porsche Consulting berät seine Klienten seit mehr als zehn Jahren im Bereich Luft- und Raumfahrt und steht ihnen auch beim Wettlauf ins All zur Seite. Zu den Schwerpunkten gehören die Wahl des passenden Geschäftsmodells und die grundlegende Marktpositionierung, inklusive der vertikalen Integration entlang der Wertschöpfungskette. Auch bei der End-to-End-Industrialisierung unterstützen die Managementberater: „Einerseits hat sich die Anzahl der Satelliten deutlich erhöht, andererseits müssen diese in kürzeren Entwicklungszyklen und deutlich flexibler bereitgestellt werden“, sagt Porsche-Berater Kirsch. „Hier muss also eine Industrialisierung entlang des kompletten Produktlebenszyklus erfolgen, von der Produktentwicklung bis zu Dienstleistungen nach dem Kauf.“
Alternativ können die Berater gemeinsam mit Satellitenunternehmen Anwendungsbeispiele für Spacedata-as-a-Service realistisch durchtesten, um erfolgsversprechende Themen zu identifizieren. Dank ihrer breiten Klientenbasis haben die Experten ein gutes Verständnis für den möglichen Mehrwert von Satelliteninformationen in verschiedensten Industrien. „Entscheidend ist, dass man sich nicht vom Hype leiten lässt“, so Kirsch. „Das Business-Modell muss stimmen – nur dann wird man im Rennen ums Weltall erfolgreich sein können.“