Mobilität

„Schneller in kleinen Schritten“

Zu Hause schreibt sie Programme mit ihren beiden Kindern. Aus Spaß. Bei der Volkswagen AG treibt Hauke Stars als Vorständin die digitale Transformation voran. In „agilen Zyklen“, sagt sie.

04/2024

Hauke Stars ist seit Februar 2022 Mitglied des Vorstands der Volkswagen AG für den Geschäftsbereich IT. Sie verantwortet konzernweit alle Aktivitäten in den Bereichen IT, Daten, Organisationsentwicklung und Prozessmanagement.Porsche Consulting/Max Arens

Der Volkswagen Konzern steht vor der riesigen Herausforderung, im Informations-Zeitalter zu bestehen. Und Sie, Frau Stars, sind die Vorständin für IT und steuern damit die digitale Transformation. Wie geht man so eine herausfordernde Aufgabe an?

Als ich im Jahr 2022 zu Volks­wa­gen kam, habe ich mir zunächst drei Mona­te Zeit gege­ben, um das Unter­neh­men und seine Struk­tu­ren bes­ser ken­nen­zu­ler­nen. Mir war schnell klar: Der Volks­wa­gen Kon­zern hat viele Stär­ken. Zual­ler­erst sind da unse­re star­ken Mar­ken, her­vor­ra­gen­den Pro­duk­te und top-moti­vier­te Beschäf­tig­te. Eine große Her­aus­for­de­rung für die Digi­ta­li­sie­rung aber ist die Arbeits­wei­se. Volks­wa­gen befin­det sich inmit­ten der Trans­for­ma­ti­on hin zum soft­ware­ori­en­tier­ten Mobi­li­täts­an­bie­ter. Unse­re Basis war bis­her vor allem das Ent­wi­ckeln von Hard­ware, was lange Ent­wick­lungs­zy­klen mit sich bringt. Man setzt ein fina­les Ergeb­nis als Ziel und arbei­tet über einen län­ge­ren Zeit­raum exakt dar­auf hin. Soft­ware und letzt­lich Digi­ta­li­sie­rung funk­tio­nie­ren anders. Es ist zen­tral, die Archi­tek­tur zu ver­ste­hen und das Ziel zu defi­nie­ren. Dann ent­wi­ckelt man in kur­zen, agi­len Zyklen. Ergeb­nis­se kom­men lau­fend. In die­ser Phase des Umden­kens befin­den wir uns. 

Heißt das, Software wurde zunächst entwickelt wie ein neues Automodell?

Es gibt eine his­to­risch gewach­se­ne Kom­ple­xi­tät an IT-Sys­te­men in unse­rem Unter­neh­men. Wir haben uns des­halb gleich im ers­ten Jahr die wich­tigs­ten lau­fen­den Digi­ta­li­sie­rungs­pro­jek­te vor­ge­nom­men. Eini­ge waren auf meh­re­re Jahre durch­ge­plant. Aber in der IT ist Schnel­lig­keit ein Schlüs­sel zum Erfolg. Daher haben wir begon­nen, die Pro­jek­te in Schei­ben zu schnei­den, um Schritt für Schritt einen mess­ba­ren Bei­trag zum Geschäft zu lie­fern. Das bringt eine neue Fle­xi­bi­li­tät. Und auf der ande­ren Seite stel­len wir uns als IT-Orga­ni­sa­ti­on effek­ti­ver auf, wer­den schnel­ler, suchen nach Syn­er­gien und redu­zie­ren Bürokratie.

Verstehen wir das richtig: Sie versuchen, die Transformationsschritte möglichst klein zu halten?

Viele klei­ne Schrit­te brin­gen uns schnel­ler voran als ein gro­ßer Sprung. Schon allein, um den Fort­schritt regel­mä­ßig zu reflek­tie­ren und kurz­fris­tig zu justieren.

Also kein Big Bang mehr?

Es ist bes­ser, in agi­len Zyklen vor­zu­ge­hen. Wir ler­nen schnel­ler und kön­nen bei Bedarf auch kurz­fris­tig Anpas­sun­gen vornehmen.

Glauben Sie, dass Volkswagen einer der führenden Player im Bereich IT werden kann?

Wir kon­zen­trie­ren uns aufs Lie­fern. Dabei wer­den wir immer bes­ser. Ein Bei­spiel: Gemein­sam mit Per­so­nal­vor­stand Gun­nar Kili­an füh­ren wir gera­de im Per­so­nal­we­sen welt­weit die Soft­ware „Hello Suc­cess“ ein. Da sind wir mitt­ler­wei­le Bench­mark in der Indus­trie. Es wen­den sich ande­re Unter­neh­men an uns, um zu ver­ste­hen, wie wir das Manage­ment von Fähig­kei­ten und Rol­len im Unter­neh­men und die Mit­ar­bei­ter­ent­wick­lung IT-sei­tig unter­stützt haben.

Hauke Stars und Federico Magno, Geschäftsführer Mobility bei Porsche Consulting, trafen sich zum Exklusiv-Interview für das Porsche Consulting Magazin im Volkswagenwerk Wolfsburg.Porsche Consulting/Max Arens

Sie haben an der Uni Magdeburg Informatik studiert. Das war auch in den 1990er-Jahren für eine junge Frau noch ungewöhnlich. Woher kam Ihr Interesse?

Die Infor­ma­tik war damals noch ein recht neues Thema. Und MINT-Fächer sind meine große Lei­den­schaft. Die habe ich schon immer geliebt. Da liegt die Zukunft.

Informatik war für Sie keine Karriereentscheidung?

Es war eine Her­zens­ent­schei­dung. Ich wuchs in der dama­li­gen DDR auf. Ich hatte den Ein­druck, Infor­ma­tik eröff­net mir viele Optio­nen. Das war die beste Ent­schei­dung, die ich hätte tref­fen können.

Können Sie eigentlich selbst programmieren?

Ja, tat­säch­lich tue ich das mit mei­nen Kin­dern immer mal wie­der. Scratch und Python hei­ßen die Spra­chen. Und ich bin da bei uns zu Hause die Expertin…

Man spürt den Stolz in Ihrer Stimme…

(lacht) Ja, schon. Wenn die Kin­der etwas pro­gram­miert haben und es funk­tio­niert nicht, heißt es: Kannst du noch mal gucken? Und dann gehen wir das Schritt für Schritt durch und ich erklä­re, wo viel­leicht eine End­los­schlei­fe im Pro­gramm ist. Und auch hier füh­ren viele klei­ne Schrit­te zum gro­ßen Erfolg.

Sie haben das „Who is Who“ der deutschen Konzerne durchlaufen: Bertelsmann, Thyssen-Krupp, Deutsche Börse, jetzt Volkswagen – und dazwischen noch Hewlett-Packard. Eine Bilderbuch-Karriere. War die geplant?

Teils Pla­nung, teils Fügung. Für mich geht es immer darum, in einem inter­es­san­ten Umfeld zu arbei­ten. Das trägt mich, inspi­riert, for­dert. Als die Anfra­ge von Volks­wa­gen kam, habe ich im ers­ten Moment gedacht: Was kann ich bei­tra­gen? Dann habe ich die Stra­te­gie ange­se­hen und ver­stan­den: Wow, das wird eine große Trans­for­ma­ti­on hin zur E‑Mobilität, zu mehr Nach­hal­tig­keit, zu soft­ware- und daten­ge­trie­be­nen Pro­duk­ten. Das ist span­nend! Da woll­te ich dabei sein.

Deutschland und seine Autoindustrie brauchen momentan eher Bits als Benzin im Blut. Aber das sieht vielleicht nicht jeder so. War es als Frau ohne Auto-Hintergrund schwer, dorthin zu wechseln?

Ich bin bei Volks­wa­gen sehr herz­lich auf­ge­nom­men wor­den. Wir alle tei­len das Ver­ständ­nis, dass Digi­ta­li­sie­rung ein wesent­li­cher Erfolgs­fak­tor ist, um noch schnel­ler, bes­ser, effi­zi­en­ter zu wer­den. Genau dar­auf kon­zen­trie­re ich mich, gemein­sam mit mei­nem Team.

Sehen Sie sich eher als Strategin oder als Umsetzerin?

Das große Ganze behal­te ich immer im Blick. Das ist mein Job. Aber wenn es not­wen­dig ist, dann stei­ge ich in die Fach­the­men ein. Ich setze mich zu den Teams dazu und wir erar­bei­ten gemein­sam die Lösung. Erfolg ist schließ­lich immer Teamwork.

Und in diese Tiefe gehen Sie regelmäßig?

Ja. Das ist sehr wich­tig. Man kann eine große IT-Orga­ni­sa­ti­on nicht füh­ren, wenn man selbst nicht in die Tiefe gehen und Fach­dis­kus­sio­nen anneh­men will.

„Man kann eine große IT-Organisation nicht führen, wenn man selbst nicht in die Tiefe gehen und Fachdiskussionen annehmen will“, sagt Hauke Stars, IT-Vorständin bei der Volkswagen AG.Porsche Consulting/Max Arens

Wird man da ab und zu auch mal von den eigenen Mitarbeitenden getestet?

Ja klar, das pas­siert. Aber ich sehe das sport­lich. Diese Chall­enge will ich haben.

Wie arbeitet man eigentlich als IT-Vorständin? Mit Augmented Reality und Supercomputer aus dem Büro?

Bei­des haben wir bei Volks­wa­gen natür­lich, aber mir sind mein Lap­top und iPad wich­ti­ger. Die schlep­pe ich mit, egal wo ich bin (lacht).

Sie haben also keine heimliche Wunderwaffe, keine künstliche Intelligenz, die Ihnen hilft?

Bis­lang nicht. Vor kur­zem habe ich mir die neu­es­ten Gerä­te für das Meta­ver­se ange­schaut, die mit enor­mer Rea­li­täts­nä­he Gesich­ter zei­gen kön­nen. Das ist schon beein­dru­ckend. Aber diese Tech­nik sehe ich noch nicht bei uns im täg­li­chen Einsatz.

Wieso nicht?

Man muss immer das Ziel im Blick behal­ten. Klei­ne Leucht­tür­me und Gad­gets sind toll, aber wir müs­sen ins­ge­samt schnel­ler und effi­zi­en­ter wer­den, Syn­er­gien heben, kon­kre­ten Geschäfts­wert lie­fern. Kurz­um: das Beste für unser Unter­neh­men erreichen.

Wie passt künstliche Intelligenz in diese Aufgaben? Unternehmen wie OpenAI sind revolutionär und disruptiv. Wie kann ein Autokonzern mit rund 670.000 Mitarbeitenden da mithalten?

Künst­li­che Intel­li­genz hilft uns schon heute ganz kon­kret, Kos­ten zu redu­zie­ren, Ener­gie und Mate­ri­al noch opti­ma­ler zu nut­zen und die täg­li­che Arbeit für viele Beschäf­tig­te zu ver­bes­sern. Das Poten­zi­al ist enorm, aber künst­li­che Intel­li­genz auf der grü­nen Wiese funk­tio­niert nicht. Daher haben wir eine klare Stra­te­gie für den Ein­satz von KI aufgesetzt.

Besuch von Porsche Consulting in Wolfsburg: Gastgeberin Hauke Stars mit Geschäftsführer Federico Magno (links) und Jan Boris Wintzenburg, Leiter Kommunikation und Marketing.Porsche Consulting/Max Arens

Mitarbeitervertreter vermuten oft, dass der Ausbau der IT immer Arbeitsplätze kostet, weil Kollege Computer übernimmt. Stimmt das eigentlich?

Die­ser Effekt hat sich seit Ein­füh­rung der Com­pu­ter in Unter­neh­men nicht gezeigt. Aber wir neh­men die Beden­ken ernst. Es ist uns wich­tig, die Men­schen mit­zu­neh­men, zu infor­mie­ren, trans­pa­rent zu sein. Wir haben des­halb die kon­zern­wei­te Initia­ti­ve „You and AI“ gestar­tet. Wir wol­len unse­ren Beschäf­tig­ten umfang­rei­che Infor­ma­tio­nen rund um KI bereit­stel­len, Wis­sen über die Tech­no­lo­gie ver­mit­teln, Ein­bli­cke in Pra­xis­bei­spie­le geben, zu Schu­lungs­an­ge­bo­ten und Fort­bil­dun­gen hin­füh­ren – und vor allem die Chan­cen und das Poten­zi­al die­ser Tech­no­lo­gie für jeden Ein­zel­nen auf­zei­gen. Bei aller Begeis­te­rung für diese Tech­no­lo­gie: Künst­li­che Intel­li­genz ist kein Selbst­zweck. Sie kann Inno­va­ti­ons­freu­de, Urteils­ver­mö­gen und Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz unse­rer Beschäf­tig­ten nicht ersetzen.

Ist KI also ein Gamechanger für Volkswagen – oder nicht?

Wir haben bereits eine Viel­zahl von KI-Lösun­gen erfolg­reich ein­ge­bracht. Es sind bereits hun­der­te Data- und KI-Anwen­dun­gen im Kon­zern pro­duk­tiv oder in Umset­zung. Da steckt rich­tig Tempo drin! Beim Begriff Game­ch­an­ger wäre ich aber vor­sich­tig. Auch hier ist es bes­ser, Schritt für Schritt zu gehen.

Und ganz zum Schluss: Wenn Sie drei Wünsche für Volkswagen frei hätten, welche wären das?

… dass wir die Digi­ta­li­sie­rung kon­se­quent vor­an­trei­ben. Dass wir noch mehr Büro­kra­tie abbau­en. Und, dass wir nach vorne schau­en. Wir gehen die Zukunft mutig und ent­schlos­sen an.

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