„Schneller in kleinen Schritten“
Zu Hause schreibt sie Programme mit ihren beiden Kindern. Aus Spaß. Bei der Volkswagen AG treibt Hauke Stars als Vorständin die digitale Transformation voran. In „agilen Zyklen“, sagt sie.
04/2024
Der Volkswagen Konzern steht vor der riesigen Herausforderung, im Informations-Zeitalter zu bestehen. Und Sie, Frau Stars, sind die Vorständin für IT und steuern damit die digitale Transformation. Wie geht man so eine herausfordernde Aufgabe an?
Als ich im Jahr 2022 zu Volkswagen kam, habe ich mir zunächst drei Monate Zeit gegeben, um das Unternehmen und seine Strukturen besser kennenzulernen. Mir war schnell klar: Der Volkswagen Konzern hat viele Stärken. Zuallererst sind da unsere starken Marken, hervorragenden Produkte und top-motivierte Beschäftigte. Eine große Herausforderung für die Digitalisierung aber ist die Arbeitsweise. Volkswagen befindet sich inmitten der Transformation hin zum softwareorientierten Mobilitätsanbieter. Unsere Basis war bisher vor allem das Entwickeln von Hardware, was lange Entwicklungszyklen mit sich bringt. Man setzt ein finales Ergebnis als Ziel und arbeitet über einen längeren Zeitraum exakt darauf hin. Software und letztlich Digitalisierung funktionieren anders. Es ist zentral, die Architektur zu verstehen und das Ziel zu definieren. Dann entwickelt man in kurzen, agilen Zyklen. Ergebnisse kommen laufend. In dieser Phase des Umdenkens befinden wir uns.
Heißt das, Software wurde zunächst entwickelt wie ein neues Automodell?
Es gibt eine historisch gewachsene Komplexität an IT-Systemen in unserem Unternehmen. Wir haben uns deshalb gleich im ersten Jahr die wichtigsten laufenden Digitalisierungsprojekte vorgenommen. Einige waren auf mehrere Jahre durchgeplant. Aber in der IT ist Schnelligkeit ein Schlüssel zum Erfolg. Daher haben wir begonnen, die Projekte in Scheiben zu schneiden, um Schritt für Schritt einen messbaren Beitrag zum Geschäft zu liefern. Das bringt eine neue Flexibilität. Und auf der anderen Seite stellen wir uns als IT-Organisation effektiver auf, werden schneller, suchen nach Synergien und reduzieren Bürokratie.
Verstehen wir das richtig: Sie versuchen, die Transformationsschritte möglichst klein zu halten?
Viele kleine Schritte bringen uns schneller voran als ein großer Sprung. Schon allein, um den Fortschritt regelmäßig zu reflektieren und kurzfristig zu justieren.
Also kein Big Bang mehr?
Es ist besser, in agilen Zyklen vorzugehen. Wir lernen schneller und können bei Bedarf auch kurzfristig Anpassungen vornehmen.
Glauben Sie, dass Volkswagen einer der führenden Player im Bereich IT werden kann?
Wir konzentrieren uns aufs Liefern. Dabei werden wir immer besser. Ein Beispiel: Gemeinsam mit Personalvorstand Gunnar Kilian führen wir gerade im Personalwesen weltweit die Software „Hello Success“ ein. Da sind wir mittlerweile Benchmark in der Industrie. Es wenden sich andere Unternehmen an uns, um zu verstehen, wie wir das Management von Fähigkeiten und Rollen im Unternehmen und die Mitarbeiterentwicklung IT-seitig unterstützt haben.
Sie haben an der Uni Magdeburg Informatik studiert. Das war auch in den 1990er-Jahren für eine junge Frau noch ungewöhnlich. Woher kam Ihr Interesse?
Die Informatik war damals noch ein recht neues Thema. Und MINT-Fächer sind meine große Leidenschaft. Die habe ich schon immer geliebt. Da liegt die Zukunft.
Informatik war für Sie keine Karriereentscheidung?
Es war eine Herzensentscheidung. Ich wuchs in der damaligen DDR auf. Ich hatte den Eindruck, Informatik eröffnet mir viele Optionen. Das war die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können.
Können Sie eigentlich selbst programmieren?
Ja, tatsächlich tue ich das mit meinen Kindern immer mal wieder. Scratch und Python heißen die Sprachen. Und ich bin da bei uns zu Hause die Expertin…
Man spürt den Stolz in Ihrer Stimme…
(lacht) Ja, schon. Wenn die Kinder etwas programmiert haben und es funktioniert nicht, heißt es: Kannst du noch mal gucken? Und dann gehen wir das Schritt für Schritt durch und ich erkläre, wo vielleicht eine Endlosschleife im Programm ist. Und auch hier führen viele kleine Schritte zum großen Erfolg.
Sie haben das „Who is Who“ der deutschen Konzerne durchlaufen: Bertelsmann, Thyssen-Krupp, Deutsche Börse, jetzt Volkswagen – und dazwischen noch Hewlett-Packard. Eine Bilderbuch-Karriere. War die geplant?
Teils Planung, teils Fügung. Für mich geht es immer darum, in einem interessanten Umfeld zu arbeiten. Das trägt mich, inspiriert, fordert. Als die Anfrage von Volkswagen kam, habe ich im ersten Moment gedacht: Was kann ich beitragen? Dann habe ich die Strategie angesehen und verstanden: Wow, das wird eine große Transformation hin zur E‑Mobilität, zu mehr Nachhaltigkeit, zu software- und datengetriebenen Produkten. Das ist spannend! Da wollte ich dabei sein.
Deutschland und seine Autoindustrie brauchen momentan eher Bits als Benzin im Blut. Aber das sieht vielleicht nicht jeder so. War es als Frau ohne Auto-Hintergrund schwer, dorthin zu wechseln?
Ich bin bei Volkswagen sehr herzlich aufgenommen worden. Wir alle teilen das Verständnis, dass Digitalisierung ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, um noch schneller, besser, effizienter zu werden. Genau darauf konzentriere ich mich, gemeinsam mit meinem Team.
Sehen Sie sich eher als Strategin oder als Umsetzerin?
Das große Ganze behalte ich immer im Blick. Das ist mein Job. Aber wenn es notwendig ist, dann steige ich in die Fachthemen ein. Ich setze mich zu den Teams dazu und wir erarbeiten gemeinsam die Lösung. Erfolg ist schließlich immer Teamwork.
Und in diese Tiefe gehen Sie regelmäßig?
Ja. Das ist sehr wichtig. Man kann eine große IT-Organisation nicht führen, wenn man selbst nicht in die Tiefe gehen und Fachdiskussionen annehmen will.
Wird man da ab und zu auch mal von den eigenen Mitarbeitenden getestet?
Ja klar, das passiert. Aber ich sehe das sportlich. Diese Challenge will ich haben.
Wie arbeitet man eigentlich als IT-Vorständin? Mit Augmented Reality und Supercomputer aus dem Büro?
Beides haben wir bei Volkswagen natürlich, aber mir sind mein Laptop und iPad wichtiger. Die schleppe ich mit, egal wo ich bin (lacht).
Sie haben also keine heimliche Wunderwaffe, keine künstliche Intelligenz, die Ihnen hilft?
Bislang nicht. Vor kurzem habe ich mir die neuesten Geräte für das Metaverse angeschaut, die mit enormer Realitätsnähe Gesichter zeigen können. Das ist schon beeindruckend. Aber diese Technik sehe ich noch nicht bei uns im täglichen Einsatz.
Wieso nicht?
Man muss immer das Ziel im Blick behalten. Kleine Leuchttürme und Gadgets sind toll, aber wir müssen insgesamt schneller und effizienter werden, Synergien heben, konkreten Geschäftswert liefern. Kurzum: das Beste für unser Unternehmen erreichen.
Wie passt künstliche Intelligenz in diese Aufgaben? Unternehmen wie OpenAI sind revolutionär und disruptiv. Wie kann ein Autokonzern mit rund 670.000 Mitarbeitenden da mithalten?
Künstliche Intelligenz hilft uns schon heute ganz konkret, Kosten zu reduzieren, Energie und Material noch optimaler zu nutzen und die tägliche Arbeit für viele Beschäftigte zu verbessern. Das Potenzial ist enorm, aber künstliche Intelligenz auf der grünen Wiese funktioniert nicht. Daher haben wir eine klare Strategie für den Einsatz von KI aufgesetzt.
Mitarbeitervertreter vermuten oft, dass der Ausbau der IT immer Arbeitsplätze kostet, weil Kollege Computer übernimmt. Stimmt das eigentlich?
Dieser Effekt hat sich seit Einführung der Computer in Unternehmen nicht gezeigt. Aber wir nehmen die Bedenken ernst. Es ist uns wichtig, die Menschen mitzunehmen, zu informieren, transparent zu sein. Wir haben deshalb die konzernweite Initiative „You and AI“ gestartet. Wir wollen unseren Beschäftigten umfangreiche Informationen rund um KI bereitstellen, Wissen über die Technologie vermitteln, Einblicke in Praxisbeispiele geben, zu Schulungsangeboten und Fortbildungen hinführen – und vor allem die Chancen und das Potenzial dieser Technologie für jeden Einzelnen aufzeigen. Bei aller Begeisterung für diese Technologie: Künstliche Intelligenz ist kein Selbstzweck. Sie kann Innovationsfreude, Urteilsvermögen und Entscheidungskompetenz unserer Beschäftigten nicht ersetzen.
Ist KI also ein Gamechanger für Volkswagen – oder nicht?
Wir haben bereits eine Vielzahl von KI-Lösungen erfolgreich eingebracht. Es sind bereits hunderte Data- und KI-Anwendungen im Konzern produktiv oder in Umsetzung. Da steckt richtig Tempo drin! Beim Begriff Gamechanger wäre ich aber vorsichtig. Auch hier ist es besser, Schritt für Schritt zu gehen.
Und ganz zum Schluss: Wenn Sie drei Wünsche für Volkswagen frei hätten, welche wären das?
… dass wir die Digitalisierung konsequent vorantreiben. Dass wir noch mehr Bürokratie abbauen. Und, dass wir nach vorne schauen. Wir gehen die Zukunft mutig und entschlossen an.