Mobilität

Mehr Spielraum
für die Bahn

In Europas Mitte gelegen, braucht Deutschland ein starkes Verkehrssystem – für den nationalen wie internationalen Transport von Menschen und Gütern. Das Schienensystem bildet dabei das Rückgrat. Doch ohne zuverlässigere Unterstützung kann es der Belastung auf Dauer kaum noch standhalten. Gibt es einen Ausweg?

11/2024

Mit 2,7 Kilometern Länge ist die 2012 fertiggestellte Unstruttalbrücke (Höhe: 49 Meter) zwischen Erfurt und Leipzig das zweitlängste Brückenbauwerk der Bahn in Deutschland. Sie ist Teil einer 2,8 Milliarden Euro teuren und 123 Kilometer langen Neubaustrecke. Auch für solche Jahrhundertprojekte braucht das Infrastruktursystem Schiene mehr Planungsstabilität – insbesondere bei der Finanzierung.Porsche Consulting/Marco Prosch

Nie­mals zuvor sind in Deutsch­land so viele Men­schen mit Eisen­bah­nen gefah­ren wie heute. Und auch der Güter­ver­kehr auf Schie­nen boomt in dem mit­tel­eu­ro­päi­schen Tran­sit­land. Nach der Ver­kehrs­pro­gno­se des deut­schen Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­ums für das Jahr 2040 wird bis dahin der Per­so­nen­ver­kehr auf der Schie­ne um acht Pro­zent zule­gen. Der Güter­ver­kehr sogar um 35 Pro­zent. Ob Fahr­gast oder gewerb­li­cher Güter­ver­kehrs­kun­de – beide erwar­ten zuver­läs­si­ge und pünkt­li­che Trans­por­te bei Tag und Nacht. Das erfor­dert vor allem eines: „freie Bahn“ – also eine aus­rei­chend dimen­sio­nier­te und wenig stör­an­fäl­li­ge Schie­nen­in­fra­struk­tur. Doch das deut­sche Netz ist über Jahre geschrumpft. Und viele der ver­blie­be­nen Glei­se und Wei­chen brau­chen Repa­ra­tu­ren. Stell­wer­ke und Signal­tech­nik sind noch zu sel­ten auf dem neu­es­ten tech­no­lo­gi­schen Stand. Die Fol­gen die­ser Gesamt­si­tua­ti­on: über­las­te­te Stre­cken und Behin­de­run­gen, unter ande­rem durch tech­ni­sche Stö­run­gen und Instandsetzungsarbeiten.

Der deut­sche Staat inves­tiert inzwi­schen mehr als in der Ver­gan­gen­heit in den Schie­nen­ver­kehr. Das Stre­cken­netz ver­klei­nert sich nicht mehr wei­ter. Doch beim Aus­bau und Neu­bau pas­sen Umfang und Tempo nicht zur Nach­fra­ge. Bei aller andau­ern­den Kri­tik: Ein­fach hat es die Bahn nicht. „Mehr Pla­nungs­sta­bi­li­tät bei Infra­struk­tur­pro­jek­ten und mehr Zuver­läs­sig­keit bei der Finan­zie­rung län­ger­fris­ti­ger Inves­ti­tio­nen in die Zukunft“ wür­den der Bahn hel­fen, ihr Sys­tem nach­fra­ge­ge­recht auf­zu­stel­len. Davon ist Mobi­li­täts­exper­te Marc Zach­erl, Seni­or Part­ner bei der Manage­ment­be­ra­tung Por­sche Con­sul­ting und Glo­bal Lead Trans­por­ta­ti­on, über­zeugt. Kurz gesagt: Das Sys­tem Bahn braucht mehr unter­neh­me­ri­schen Spiel­raum, um sich frei­er ent­wi­ckeln zu kön­nen. Und: Das Pla­nungs­ri­si­ko wird zum Prell­bock für den Fort­schritt auf deut­schen Schienen.

Eines der Haupt­pro­ble­me ist die Finan­zie­rung. Und die ist abhän­gig vom Eigen­tü­mer der Bahn, dem deut­schen Staat. Im Jahr 2024 inves­tier­te die Bun­des­re­pu­blik mehr als 16 Mil­li­ar­den Euro in die Schie­nen­in­fra­struk­tur – fast dop­pelt so viel wie fünf Jahre zuvor. Aller­dings ist das wich­tigs­te Pro­jekt, die Gene­ral­sa­nie­rung der 40 wich­tigs­ten Stre­cken­kor­ri­do­re bis 2030, noch nicht durch­fi­nan­ziert. Von den benö­tig­ten 45 Mil­li­ar­den sind bis­her ledig­lich 27 Mil­li­ar­den vom Eigen­tü­mer zuge­sagt. Ende 2027 wird vor­aus­sicht­lich eine Finan­zie­rungs­lü­cke entstehen.

Kri­ti­ker urtei­len: Die Finan­zie­rung der Bahn ist Stück­werk. Statt lang­fris­ti­ger Zusa­gen muss die Bahn von Jahr zu Jahr zit­tern, ob neue Mit­tel frei­ge­ge­ben wer­den. Sind die öffent­li­chen Finanz­mit­tel knapp, tröp­felt das Geld ledig­lich. Und wech­selt zum Bei­spiel die Regie­rung, könn­ten neue Schwer­punk­te gesetzt und alte gestri­chen wer­den. Das Hin und Her erschwert der Bahn die Pla­nung lang­fris­ti­ger Pro­jek­te. Hinzu kommt die Tat­sa­che, dass es fast 200 ver­schie­de­ne Finan­zie­rungs­töp­fe für Infra­struk­tur­pro­jek­te gibt. Aus wel­chem Topf aber kommt wie viel Geld für wel­ches Pro­jekt? Exper­ten emp­feh­len des­halb schon seit lan­gem einen Infra­struk­tur­fonds, der auch aus pri­va­ten Kapi­tal­quel­len gespeist wird, die Mit­tel bün­delt und über Jahr­zehn­te genutzt wer­den kann. Das würde der Bahn mehr Spiel­raum geben.

Unter der Pla­nungs­un­si­cher­heit der Bahn lei­den auch ihre Geschäfts­part­ner, Dienst­leis­ter, Her­stel­ler von Loko­mo­ti­ven und Wag­gons und mit Groß­pro­jek­ten beauf­trag­te Bau­un­ter­neh­men. Eben­so aber auch Spe­di­tio­nen, die Trans­por­te umwelt­freund­lich mit der Bahn orga­ni­sie­ren wol­len. Por­sche Con­sul­ting woll­te wis­sen, wor­auf es Unter­neh­men und Orga­ni­sa­tio­nen ankommt, die eng mit der Bahn ver­bun­den sind, und hat bei fünf füh­ren­den Fach­leu­ten nachgefragt.


Jens Sprot­te, Vice Pre­si­dent Mar­ke­ting and Stra­tegy, Alstom:

„Wir brauchen einen klaren, transparenten Rahmen“

Jens Sprotte, Vice President Marketing and Strategy bei Alstom: „Wir brauchen einen Verkehrsmasterplan mit allen Playern.“Porsche Consulting/Marco Prosch

Als­tom, Her­stel­ler von Schie­nen­fahr­zeu­gen und ‑sys­te­men, ist einer der wich­tigs­ten Lie­fe­ran­ten der Deut­schen Bahn. Jens Sprot­te, Vice Pre­si­dent Mar­ke­ting and Stra­tegy des fran­zö­si­schen Kon­zerns, lobt die „gute Pla­nungs­si­cher­heit“, die in den ver­gan­ge­nen Jah­ren die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Als­tom und der Bahn geprägt hat. Durch das staat­li­che Aus­schrei­bungs­sys­tem wisse man in sei­nem Haus, wel­che Stre­cke wann gebaut wird und wel­che Fahr­zeu­ge gebraucht wer­den: „Das sind klare und trans­pa­ren­te Rah­men­be­din­gun­gen“, sagt Sprot­te. „In letz­ter Zeit aber sind diese durch die Haus­halts­ir­ri­ta­tio­nen und wech­seln­den poli­ti­schen Marsch­rich­tun­gen geschwun­den.“ Er nennt ein Bei­spiel: Die Aus­schrei­bung eines Bun­des­lan­des, für das Als­tom geeig­ne­te und leis­tungs­star­ke Züge anbie­ten könn­te, wurde um fünf Jahre ver­scho­ben, „weil der zustän­di­ge Auf­ga­ben­trä­ger für den Schie­nen­per­so­nen­nah­ver­kehr nicht weiß, wie er sich künf­tig auf­stel­len kann“. Kon­se­quenz für Als­tom und den Kun­den: „Wir kön­nen eine neue Fahr­zeug­ge­ne­ra­ti­on nicht an den Markt füh­ren, der Auf­ga­ben­trä­ger kann weder die Kapa­zi­tät noch den Kom­fort ausbauen.“

Jens Sprot­te betont, dass die Pro­ble­me der Bahn nicht in ers­ter Linie an der Höhe der Bud­gets lie­gen, son­dern viel­mehr an deren Kurz­fris­tig­keit: „Was wir brau­chen, ist ein Ver­kehrs­mas­ter­plan mit allen Play­ern, zu dem auch die Ver­net­zung der ein­zel­nen Ver­kehrs­trä­ger zählt, und eine ver­läss­li­che lang­fris­ti­ge Finan­zie­rung, die auf meh­re­ren Säu­len steht.“ Dar­über hin­aus müsse man sich in Deutsch­land fra­gen, in wel­che Rich­tung man sich eigent­lich ent­wi­ckeln wolle. Stich­wort: Inno­va­tio­nen. „Wäh­rend Aus­schrei­bun­gen hier­zu­lan­de zu 80 bis 90 Pro­zent allein über den Preis ent­schie­den wer­den, spie­len etwa in der Schweiz und vie­len nor­di­schen Staa­ten Argu­men­te wie Ener­gie­ef­fi­zi­enz und Inno­va­ti­on eine wich­ti­ge­re Rolle“, sagt Sprot­te. „Auch wir soll­ten deut­lich mehr Wert auf tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lun­gen legen, um die Nach­hal­tig­keit zu stär­ken. Zudem muss uns klar sein, dass gera­de wir als Hoch­preis­land im inter­na­tio­na­len Wett­be­werb nicht über einen Preis­kampf bestehen werden.“


Dr. Maxi­mi­li­an Alt­mann, Vor­stands­vor­sit­zen­der ARS Alt­mann AG:

„Stoppt den Rückbau von Güterverkehrsgleisen!“

Dr. Maximilian Altmann, Vorstandsvorsitzender ARS Altmann AG Automobillogistik: „Neben Planungssicherheit würde eine Reihe niederschwelliger Maßnahmen helfen.“ Porsche Consulting/Isi Forster

Die ARS Alt­mann AG, eines der füh­ren­den Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men der Fer­tig­fahr­zeug­lo­gis­tik in Euro­pa, trans­por­tiert jähr­lich rund 1,7 Mil­lio­nen Fahr­zeu­ge auf Schie­nen und Stra­ßen von Pro­duk­ti­ons­stand­or­ten wie Wolfs­burg oder Ingol­stadt zu Ver­la­de­sta­tio­nen wie Bre­mer­ha­ven oder Raven­na. An ihren Stütz­punk­ten über­nimmt die Asset-Heavy-Spe­di­ti­on den gesam­ten Ser­vice rund um das Auto­mo­bil. Den Schie­nen­trans­port mit kom­plet­ten Zügen rea­li­siert das ARS-Alt­mann-eige­ne Eisen­bahn­ver­kehrs­un­ter­neh­men mit einer Flot­te aus rund 3.500 geschlos­se­nen und offe­nen Wag­gons. Für den Fern­ver­kehr setzt man in ers­ter Linie auf die Schie­ne, weil laut Vor­stands­chef Dr. Maxi­mi­li­an Alt­mann der Trans­port von Autos auf Wag­gons sehr sicher ist und keine auf­wen­di­ge Ter­mi­nal-Infra­struk­tur erfor­dert. „Für sämt­li­che Fahr­zeu­ge, die ich mit einem Zug trans­por­tie­ren kann, bräuch­te ich auf der Stra­ße min­des­tens 35 Lkw“, nennt der Vor­stands­chef einen wei­te­ren Plus­punkt der Bahn. „Und ich redu­zie­re die CO2-Emis­sio­nen sowie das Risi­ko von Fahr­zeug­be­schä­di­gun­gen beim Beladen.“

Der baye­ri­sche Kon­zern wickelt heute rund 60 Pro­zent sei­ner Trans­por­te über die Schie­ne ab. Was müss­te gesche­hen, damit ARS Alt­mann noch mehr Ver­kehr auf die Schie­ne ver­le­gen könn­te, um die Stra­ßen zu ent­las­ten? Dr. Maxi­mi­li­an Alt­mann: „Neben Pla­nungs­si­cher­heit, die eine enor­me Rolle spielt, würde uns eine Reihe nie­der­schwel­li­ger Maß­nah­men hel­fen.“ Ein Bei­spiel sei der Stopp des Rück­baus von Güter­ver­kehrs­glei­sen. Weil in Deutsch­land Per­so­nen- und Güter­ver­kehrs­zü­ge auf den­sel­ben Stre­cken fah­ren, gibt es für Letz­te­re War­te­glei­se, damit der Hoch­ge­schwin­dig­keits­zug über­ho­len kann. Alt­mann: „Momen­tan wer­den hun­der­te Kilo­me­ter die­ser Park­glei­se zuguns­ten ande­rer Infra­struk­tur­maß­nah­men der Bahn zurück­ge­baut. Wenn die weg sind, gibt es weni­ger Güter­ver­kehr. Der aber soll­te nicht ab‑, son­dern aus­ge­baut wer­den. Glei­ches gilt für die Infra­struk­tur um Fahr­zeug­pro­duk­ti­ons­stand­or­te wie Mün­chen herum, die eben­falls zurück­ge­baut wird. Was nützt ein Bren­ner-Basis­tun­nel, wenn etwa in Mün­chen der Platz fehlt, die Züge aufzureihen?“


Ste­fan Bögl, Vor­stands­vor­sit­zen­der der Fir­men­grup­pe Max Bögl:

„Mehr hochwertige und wirtschaftlichere Lösungen“

Stefan Bögl, Vorstandsvorsitzender der Firmengruppe Max Bögl: „Unsicherheiten führen zu Verzögerungen und dadurch zu höheren Preisen.“Max Bögl

Gut zehn Pro­zent ihres Gesamt­um­sat­zes von 2,7 Mil­li­ar­den Euro macht die Fir­men­grup­pe Max Bögl mit Pro­jek­ten im Bereich Schie­nen­in­fra­struk­tur. Das Fami­li­en­un­ter­neh­men aus Sen­gen­thal in der Ober­pfalz, das an 40 Stand­or­ten rund 6.500 Mit­ar­bei­ter beschäf­tigt, baut für die Bahn Brü­cken und Tun­nel. So zum Bei­spiel im Rah­men der Groß­pro­jek­te „Feste Feh­marn­belt­que­rung“ in der Ost­see und „Stutt­gart 21“ im Süden Deutsch­lands. „Wir sehen meh­re­re Ansät­ze, um Bau­vor­ha­ben der Bahn noch effi­zi­en­ter und schnel­ler umset­zen zu kön­nen“, erklärt Vor­stands­chef Ste­fan Bögl. „Durch eine frühe Ein­be­zie­hung in die Pla­nung könn­ten Kos­ten gesenkt, Ter­mi­ne zuver­läs­si­ger koor­di­niert und auch alter­na­ti­ve Pro­duk­ti­ons- und Bau­ver­fah­ren in Betracht gezo­gen wer­den. Außer­dem las­sen sich durch von uns ent­wi­ckel­te Inno­va­tio­nen wie die hybri­de Bahn­brü­cke, die einen Ersatz­bau inner­halb einer Wochen­end­sperr­pau­se ermög­licht, hoch­wer­ti­ge und wirt­schaft­li­che Lösun­gen rea­li­sie­ren. Und schließ­lich würde eine stär­ke­re Stan­dar­di­sie­rung von Brü­cken die Pla­nungs- und Bau­pro­zes­se beschleu­ni­gen und die Wirt­schaft­lich­keit erhöhen.“

Der Vor­stands­vor­sit­zen­de des Bau‑, Tech­no­lo­gie- und Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­mens ist zudem über­zeugt, dass „funk­tio­na­le­re Aus­schrei­bungs­ver­fah­ren von Bau­leis­tun­gen es der Indus­trie erleich­tern, neue maß­ge­schnei­der­te Ideen zu ent­wi­ckeln“. Man könne dabei neue Erkennt­nis­se und Best Prac­ti­ces aus ande­ren Pro­jek­ten her­an­zie­hen: „Durch die Ein­spa­run­gen gewinnt der Auf­trag­ge­ber Frei­hei­ten im Bud­get und erreicht wirt­schaft­lich seine Pro­jekt­zie­le.“ Finan­zie­rungs­si­cher­heit sei ein enorm wich­ti­ger Punkt. Unsi­cher­hei­ten füh­ren nach Erfah­rung von Ste­fan Bögl häu­fig „zu Ver­zö­ge­run­gen und dadurch zu höhe­ren Prei­sen“. Vor­aus­set­zung für eine effi­zi­en­te Gesamt­pro­jekt­rea­li­sie­rung sei „eine kon­ti­nu­ier­li­che Pro­jekt­pla­nung und ‑umset­zung“. Gro­ßes Poten­zi­al sieht der Bau­un­ter­neh­mer in alter­na­ti­ven Ver­kehrs­sys­te­men wie der Magnet­schwe­be­bahn. Die Vor­tei­le der Tech­no­lo­gie lägen vor allem im ver­schleiß- und emis­si­ons­ar­men Fahr­be­trieb. Die Fir­men­grup­pe könne dazu eine eigen­ent­wi­ckel­te schlüs­sel­fer­ti­ge Mobi­li­täts­lö­sung zu gerin­gen Lebens­zy­klus­kos­ten anbieten.


Dr. Heike van Hoorn, Geschäfts­füh­re­rin Deut­sches Verkehrsforum:

„Die Schweiz liefert ein gutes Vorbild“

Dr. Heike van Hoorn, Geschäftsführerin Deutsches Verkehrsforum: „Wir favorisieren ein Fondsmodell.“DVF

Das Deut­sche Ver­kehrs­fo­rum (DVF) mit Sitz in Ber­lin, eine ver­kehrs­trä­ger­über­grei­fen­de Wirt­schafts­ver­ei­ni­gung mit 170 Mit­glieds­un­ter­neh­men, for­dert seit Jah­ren eine bes­se­re Finan­zie­rung der Deut­schen Bahn. In die­sem Jahr stel­len Bund, Län­der und Gemein­den 16,4 Mil­li­ar­den Euro für Inves­ti­tio­nen in die Schie­nen­in­fra­struk­tur der Bahn zur Ver­fü­gung. Zu wenig für DVF-Geschäfts­füh­re­rin Dr. Heike van Hoorn: „Zum einen sehen wir bei der Bahn einen Inves­ti­ti­ons­stau von inzwi­schen 92 Mil­li­ar­den Euro, der abge­baut wer­den muss, zum ande­ren müs­sen Bau­kos­ten­stei­ge­run­gen seit 2022 von fast 30 Pro­zent ver­kraf­tet wer­den. Das frisst die ange­stie­ge­nen Mit­tel auf. Und das vor dem Hin­ter­grund, dass wir das Schie­nen­netz der Bahn nicht nur erhal­ten wol­len, son­dern sanie­ren, moder­ni­sie­ren und aus­bau­en müs­sen.“ Heike van Hoorn erin­nert daran, dass immer noch nur rund 60 Pro­zent des Gleis­net­zes elek­tri­fi­ziert sind. Bis 2030 sol­len es 75 Pro­zent sein. Hinzu komme die drin­gend not­wen­di­ge Digi­ta­li­sie­rung. Das kostet.

Auf die Frage, woher das für die Mam­mut­auf­ga­ben benö­tig­te Geld kom­men soll, ver­weist die DVF-Geschäfts­füh­re­rin auf einen bereits mehr­mals gemach­ten Vor­schlag ihrer Ver­ei­ni­gung: „Wir favo­ri­sie­ren ein Fonds­mo­dell, das ähn­lich funk­tio­niert wie das in der Schweiz, das aus meh­re­ren Quel­len, etwa Zuwen­dun­gen von Bund und Kan­to­nen und Erträ­gen aus der Mehr­wert- und Mine­ral­öl­steu­er, gespeist wird. Damit wer­den Mit­tel für die Schie­nen­in­fra­struk­tur über meh­re­re Jahre hin­weg ver­läss­lich und unab­hän­gig von den jähr­li­chen Bun­des­haus­hal­ten zur Ver­fü­gung gestellt.“ Erfüllt wer­den müss­ten mit einem neuen Finan­zie­rungs­kon­zept drei ent­schei­den­de Kri­te­ri­en: „Wir brau­chen eine Lang­fris­tig­keit der Mit­tel­be­reit­stel­lung, nicht jähr­lich neue Ver­hand­lun­gen, die sich an der Kas­sen­la­ge ori­en­tie­ren. Außer­dem brau­chen wir ver­läss­li­che Finan­zie­rungs­quel­len, also etwa einen Fonds oder ein Son­der­ver­mö­gen. Und drit­tens muss es eine detail­lier­te Abstim­mung geben zwi­schen den Erhaltungs‑, Aus­bau- und Moder­ni­sie­rungs­plä­nen, die vor­ge­legt wer­den, und der Finanzierung.“


Marc Zach­erl, Seni­or Part­ner und Bran­chen­lei­ter Trans­por­ta­ti­on & Logis­tik, Por­sche Consulting:

„Mehr Freiraum für Unternehmertum“

Marc Zacherl, Senior Partner und Branchenleiter Transportation & Logistik bei Porsche Consulting: „Die Komplexität des Finanzierungssystems muss deutlich reduziert werden.“Porsche Consulting

Wie soll der euro­päi­sche Schie­nen­ver­kehr in 15 Jah­ren aus­se­hen? Wie viel Infra­struk­tur wird gebraucht, wenn sich bei­spiels­wei­se die Anzahl der Pas­sa­gie­re im Per­so­nen­ver­kehr ver­dop­peln soll? Und wie wird diese sta­bil finan­ziert? Das sind Fra­gen, die nach Über­zeu­gung von Marc Zach­erl, Seni­or Part­ner und Bran­chen­lei­ter Trans­por­ta­ti­on & Logis­tik bei Por­sche Con­sul­ting, beant­wor­tet wer­den müs­sen, bevor die Deut­sche Bahn – Eigen­tü­mer ist der Bund – kon­kre­te Maß­nah­men ergreift: „Ein Mas­ter­plan, mit dem mehr Pla­nungs­si­cher­heit ins Sys­tem kommt, muss viel stär­ker auf unter­neh­me­ri­sche Bedürf­nis­se zie­len und nicht auf poli­ti­schen Wil­len der Struk­tur­för­de­rung.“ Zach­erl nennt als Bei­spiel die rund 13.000 Kilo­me­ter belas­te­te und höchst belas­te­te Stre­cken im Land, „auf denen die Musik spielt“. Für die bis 2030 ange­streb­te Ver­dop­pe­lung des Fahr­gast­vo­lu­mens müsse beson­ders hier die Digi­ta­li­sie­rung der Schie­nen­in­fra­struk­tur for­ciert wer­den: „Und das nicht bis 2050, son­dern umge­hend.“ Der Por­sche-Con­sul­ting-Bera­ter: „Mit der Signal­tech­nik, die in die­ser Infra­struk­tur ver­baut wird, lässt sich die Kapa­zi­tät der Stre­cke um bis zu 20 Pro­zent stei­gern und die Pünkt­lich­keit verbessern.“

Die zwei­te Säule ist für Marc Zach­erl „die mit­tel­fris­ti­ge Sta­bi­li­tät der Finan­zie­rung“. Ein Vor­bild ist für ihn Öster­reich, wo es seit 2003 eine sechs­jäh­rig rol­lie­ren­de Pla­nung gibt. In der aktu­el­len Peri­ode herrscht Sta­bi­li­tät bis 2029. Zach­erl lobt in Deutsch­land zwar die von der Beschleu­ni­gungs­kom­mis­si­on Schie­ne zuletzt erar­bei­te­ten Vor­schlä­ge für eine fünf­jäh­ri­ge Sta­bi­li­sie­rung, „aber die müs­sen jetzt auch schnell umge­setzt wer­den“. Bei der Finan­zie­rung rät Zach­erl, neben den Steu­er­gel­dern, über deren Ver­wen­dung auch Län­der und Kom­mu­nen mit­be­stim­men, die oft diver­gie­ren­de Inter­es­sen haben, zusätz­lich pri­va­tes Kapi­tal zu nut­zen: „Durch Ein­be­zie­hung von Public-Pri­va­te-Part­ner­ship könn­ten wir den Spiel­raum deut­lich ver­grö­ßern.“ Zach­erl emp­fiehlt, die Pla­nung von Infra­struk­tur­pro­jek­ten wie neuen Bahn­stre­cken von den jähr­li­chen Haus­halts­dis­kus­sio­nen kom­plett zu ent­kop­peln. Weni­ger Poli­tik, mehr Frei­raum für Unter­neh­mer­tum: „Zusätz­lich muss die Kom­ple­xi­tät des Finan­zie­rungs­sys­tems deut­lich redu­ziert wer­den, damit die Bahn mehr Spiel­raum bekommt.“

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