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Eine Strategin macht mobil

Transformation muss vom Top-Management ehrlich vorgelebt werden. Das überzeugt die Mitarbeitenden, sagt Chefstrategin Dr. Teresa Schlichting. Sie lebt vor. Und betont: „Hirn reicht nicht. Dafür brauche ich beide Arme.“

10/2023

Kurztrip mit dem Roller: Riverty-Vorständin Dr. Teresa Schlichting konzipiert flexible Mobilitätsbudgets für Berufstätige. Das Zweirad fürs Foto stellte kurzerhand Daniel Di Maria (Vespa-Store, Verl).Porsche Consulting/Marco Prosch

Teresa Schlichting. Null Attitüde, keine Insignien der Macht, aufgeschlossen, fröhlich zupackend. Und eine außergewöhnlich gute Zuhörerin. Eine Frau, die auf natürliche, ehrliche Weise im Nu sportlichen Teamspirit und eine positive Arbeitsatmosphäre erzeugt. Beides braucht sie auch. Denn sie steckt gemeinsam mit ihren Board-Kolleginnen- und Kollegen mitten in einer Großaufgabe, bei der sie viele Menschen mitnehmen und integrieren muss. Für die Führungskräfte und alle Mitarbeitenden gilt es, gemeinsam die strategische Transformation operativ zu stemmen.

Fragt man die Top-Managerin nach dem Hauptsitz ihres Unternehmens mit den vielen Standorten, antwortet sie: „Bei uns gibt es kein Center of Gravity.“ Headquarter und Vorstandsetagen lehnt sie ab. Sie ist flexibel, sucht sich einen Schreibtisch, wo sie gebraucht wird. Natürlichkeit und Nähe – für sie viel wichtiger als Autorität qua Amt. Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin ist seit 2021 Chief Strategy Officer bei Riverty. Ihre Vision ist zugleich das akkurat abgesteckte Langfristziel: Das Unternehmen will zum „menschenzentriertesten FinTech“ werden. Schlichting und ihr Team wollen die Firma so gestalten, „dass Menschen begeistert sind“. Und zwar Mitarbeitende genauso wie die Kundschaft.

Große Pläne: Teresa Schlichting hat die Verkehrsverbünde aller Metropolregionen im Blick. Städte wie Hamburg gehören dazu.Porsche Consulting/Marco Prosch

Riverty? Dem künstlichen Namen Profil und Inhalt zu geben, ist gleich die nächste Herausforderung. Noch bis zum Herbst 2022 hieß das Unternehmen Arvato Financial Solutions – eine Tochtergesellschaft des international agierenden Medienkonzerns Bertelsmann. Der ist seit dem Gründungsjahr 1835 in der westdeutschen Stadt Gütersloh beheimatet. Aus dem B2B-Finanzdienstleister im Hintergrund soll ein FinTech werden, das alle Menschen kennen und schätzen lernen können, darunter auch die Endkundschaft. Das sind zum Beispiel klassische Einzelhandelskunden und Online-Käufer, die elektronisch bezahlen oder Rechnungen in Raten begleichen möchten.

Fluss und Freiheit

Die mehr als 5.000 Riverty-Mitarbeitenden in 13 Ländern wollen Privatpersonen, Unternehmen und Organisationen „mit einfach zugänglichen Zahlungsprodukten unterstützen“ und sie wollen „die Verantwortung für die gesamte Transaktionskette übernehmen“. So sollen Verbraucher von modernen Bezahlmöglichkeiten profitieren. Und Händler von der notwendigen Transparenz, um Zahlungsströme nachvollziehen zu können.

Riverty: Tradition trifft Transformation

Als FinTech („Financial Technology“) mit 5.000 Mitarbeitenden in 13 Ländern betreut Riverty rund 25 Millionen Konsumenten und bearbeitet jedes Jahr rund eine Milliarde Finanztransaktionen. Das Vorgängerunternehmen Arvato Financial Solutions hatte seine frühen Wurzeln in den 1960er Jahren. Es agierte ursprünglich als Ergänzung zu den vom deutschen Medienkonzern Bertelsmann angebotenen Druckdienstleistungen für Buchverlage. Bis Ende der 1990er Jahre akquirierte die Arvato-Gruppe große internationale Kunden. Das Portfolio umfasste Finanzdienstleistungen, Warehousing, Customer Relationship Management und IT-Services. In den 2000er Jahren kamen unter anderem Betrugsprävention, Kreditvermittlungsdienste, Forderungsmanagement, Buchhaltungslösungen und „Buy Now, Pay Later“-Zahlungsmethoden dazu. Seit Anfang Oktober 2022 trägt das FinTech den Namen Riverty. Jan Altersten, CEO von Riverty, sagte bei diesem Anlass: „Zum ersten Mal in unserer Unternehmensgeschichte präsentieren wir unsere Dienstleistungen unter einer einheitlichen Marke. Die Umfirmierung in Riverty ist der sichtbarste Schritt unserer Transformation.“

Der Name Riverty ist eine Kombination aus River (Fluss) und Liberty (Freiheit). Die Aufgabe dahinter wird so erklärt: „ein natürlich gesteuerter Finanzfluss, der Unternehmen und Verbraucher durch die Unsicherheiten und Herausforderungen des täglichen Lebens leitet“. Die Formel ergibt Sinn, wenn man bedenkt, dass auch das Ratenzahlungssystem AfterPay, der Inkassodienstleister Paigo sowie die Buchhaltungs- und Zahlungsabwicklung Aqount in Riverty aufgegangen sind. Bislang hatten diese Unternehmensbereiche eigene Teams, eigene Strukturen, Strategien und Kompetenzen.

Im Zuge der Transformation werden die Geschäftsfelder und ihr Fachpersonal zusammengeführt und Synergien genutzt. „Wir bringen alle Produkte und die Mitarbeitenden unter einer gemeinsamen Vision zusammen“, sagt Teresa Schlichting. Vor allem integrierte Services will man anbieten. Dafür ist Kollaboration in neuen Konstellationen gefragt: Statt starrer Abteilungen gibt es jetzt individuelle Zusammensetzungen, hauptsächlich in funktionalen Expertenteams, Projektgruppen und crossfunktionalen Teams.

Statt Hauptquartier: „Mein Arbeitsplatz ist dort, wo ich gerade gebraucht werde“, sagt Teresa Schlichting und sucht sich spontan einen freien Tisch – möglichst nah an den Menschen.Porsche Consulting/Marco Prosch

Mit der Neuausrichtung kommt eine zentrale Aufgabe hinzu, die in den vergangenen sechs Jahrzehnten der Firmengeschichte wohl eher überflüssig erschien und deshalb kaum eine Rolle gespielt hat: die Bekanntheit in der Breite zu steigern. „Mit Riverty schaffen wir jetzt eine starke Marke, die Strahlkraft in ganz Europa haben wird“, kündigt die Strategin an. „Früher entwickelten wir Lösungen für große Unternehmen. Heute bauen wir auf diese Stärke und haben zusätzlich als Kunden jeden einzelnen Menschen im Blick. Unsere Dienstleistungen richten wir stark am dynamischen Verbraucherverhalten aus.“

Marathon ohne Ende

Die Steigerung der Bekanntheit soll gepaart werden mit einem positiven Image in der breiten Bevölkerung. Riverty plus Reputation – die Addition soll einen messbaren Mehrwert ergeben. „Der Weg dahin ist ein Marathon, kein Sprint“, sagt Schlichting. Realistische, verantwortungsvolle Einschätzungen sind Teil der Führungskultur. Und sie fügt weit vorausschauend hinzu: „Unsere Transformation wird niemals enden.“ Gerade deshalb ist ein klarer, umfassend kommunizierter und gelebter Kurs wichtig. Das Prinzip: „Wir teilen die Herkulesaufgabe in sinnvolle Schritte. Alle Mitarbeitenden kennen den Fahrplan und die Meilensteine.“ Klar, könnte man jetzt sagen, das ist Handwerk. Doch dass in vielen Unternehmen vom Management erdachte Pläne nicht ausreichend umgesetzt werden und manches hochgesteckte Ziel nicht wirklich erreicht wird, hat oft die gleichen, typischen Ursachen: Das Personal, auf das es in der Umsetzung ankommt, wird nicht ausreichend informiert, nur partiell in die Transformation integriert und zu wenig zum persönlichen Einbringen motiviert.

Vita Dr. Teresa Schlichting

Offene Atmosphäre: Teresa Schlichting gehört zur Generation Y und sieht sich bei der Transformation in einer „Brückenfunktion“.Porsche Consulting/Marco Prosch
Seit Januar 2021 treibt Dr. Teresa Schlichting die Transformation von Riverty voran. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Mannheim und Madrid. Es folgte die Promotion an der Technischen Universität Dortmund. Als Strategie- und Transformationsmanagerin blickt sie auf mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Automobil-, Automatisierungs- und Elektronikindustrie. Vor ihrem Wechsel zu Riverty war Teresa Schlichting Senior Director Strategy & Transformation Management im Bereich Corporate Development & New Business bei Phoenix Contact. „Produkte und Prozesse zu innovieren und Unternehmen zu gestalten, die Menschen lieben“, bezeichnet die Top-Managerin als ihre Leidenschaft. Sie sagt: „Als Teil der frühen Generation Y sehe ich mich in einer Brückenfunktion: Wir müssen die Art und Weise verändern, wie wir arbeiten und unser Geschäft gestalten.“

„Das Top-Management sollte selbst zuerst merken, wenn es nicht klar genug kommuniziert oder Prioritäten nicht klar genug setzt“, sagt Schlichting selbstkritisch. Deshalb ist der Chefstrategin jeder einzelne Mitarbeitende so wichtig: „Jeder Mensch bei Riverty soll wissen: Welche Schritte sind die nächsten für mich ganz persönlich?“ Kommuniziert werden die Inhalte über die direkten Führungskräfte, über die Social-Media-Plattform „My Riverty“ im Intranet und über eine wöchentliche Videobotschaft von CEO Jan Altersten an das gesamte Team.

Mitmachen beim Mitdenken

Echte Integration hat eine Schlüsselfunktion: „Wir haben in großen Runden die neue Strategie geteilt und Feedback eingesammelt. Dabei etablieren wir eine Kultur, die es jedem ermöglicht, Ideen einzubringen“, sagt Schlichting. „Partizipatives Mitdenken“ nennt sie das Rezept, das jeden einschließt. Es scheint aufzugehen: „Ich war von Anfang an erstaunt, wie bereit die Menschen bei uns zur Transformation waren und sind“, sagt die Vorständin, die im Jahr 2021 ins Unternehmen kam. Sie hat sich keineswegs nur auf Schönwetter während des Wandels eingerichtet, sondern kalkuliert auch Gewitter ein. Teresa Schlichting formuliert das wie eine Pilotin bei der Durchsage aus dem Cockpit: „Phasenweise könnte es bumpy werden.“ Bei Riverty allerdings kein Grund zum Anschnallen, sondern zum beherzten Weitermachen.

„Das Top-Management sollte selbst zuerst merken, wenn es nicht klar genug kommuniziert“, sagt Chefstrategin Teresa Schlichting selbstkritisch. Porsche Consulting/Marco Prosch

Zum Instrumentarium bei Riverty zählen sogenannte Verhaltensanker. Die Indikatoren bewerten zum Beispiel Wissen, Kompetenzen und überfachliche Qualifikationen von Mitarbeitenden. Solche Anker sind auch anwendbar auf die verstärkte Orientierung Richtung Endkunden. Dieser Fokus ist Neuland und muss erschlossen werden. „We live our products“, sagt Schlichting und fragt oft nach: „Wie gut kennen und verstehen wir eigentlich unsere Produkte? Wie entwickeln wir sie weiter?“

Grüne Punkte auf dem Arbeitsweg

Ein wichtiges Zukunftsgeschäft im großen Riverty-Portfolio liegt im Bereich der Mobilitätswende und Digitalisierung: Angestrebt wird ein „nahtloses Kundenerlebnis“ bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und diverser weiterer Mobilitätsangebote. Neben so genannten Ticketing Payments für den öffentlichen Nahverkehr und digitalen Bezahlmöglichkeiten in großen Parkgaragen ist ein Schwerpunkt das Riverty-Mobilitätsbudget.

Im Rahmen eines vom Arbeitgeber festgelegten Monatsbudgets können Mitarbeitende wählen, ob sie beispielsweise lieber Car-Sharing-Angebote nutzen möchten, mit der Bahn zur Arbeit fahren wollen oder einen E-Scooter für die Fahrt ins Büro verwenden. Die Vorteile für die Unternehmen: Übernimmt ein erfahrener Dienstleister das Handling, die Abwicklung und die Zahlungsprozesse, reduziert sich der Aufwand und das Unternehmen gewinnt Ressourcen für Kernaufgaben.

Zeichen Richtung Zukunft: Das Riverty-Logo ist noch frisch. Erst im Oktober 2022 erhielt das Unternehmen seinen neuen Namen. Damit verbunden sind eine große Transformation und der Aufbau einer starken Marke.Porsche Consulting/Marco Prosch
Realistische Prognose: „Unsere Transformation wird niemals enden. Es ist ein Marathon, kein Sprint“, sagt Riverty-Chefstrategin Teresa Schlichting im Interview mit dem Porsche Consulting Magazin.Porsche Consulting/Marco Prosch
Magazin-Termin: Teresa Schlichting mit dem Porsche-Consulting-Team Claus-Conrad Roth, Heiner von der Laden und Tanja Krupp (von links) sowie Carina Groß, Senior Communications Managerin bei Riverty (rechts).Porsche Consulting/Marco Prosch

„Neben Pluspunkten, die Mobilitätsbudgets für das ESG-Reporting haben, können sie auch dazu beitragen, die Attraktivität des Unternehmens für neue Mitarbeitende zu steigern und das Employer Branding zu verbessern. Firmen fördern damit grüne Mobilitätsformen und setzen ein Zeichen für den Klima- und Umweltschutz“, sagt Teresa Schlichting. Darüber hinaus sollen Unternehmen in naher Zukunft weitere individuelle Funktionen wählen können – zum Beispiel ein Bonussystem, das Incentives für die Nutzung besonders umweltfreundlicher Verkehrsmittel bereithält. „Gamification“ nennt Schlichting das digitale Punktesammeln, bei dem zum Beispiel spielerisch dazu motiviert wird, nach Möglichkeit zu Fuß zur Arbeit zu gehen oder das Fahrrad zu nutzen.

Natürlich hat Riverty solche Systeme schon im eigenen Haus getestet und weitere Ideen geboren. „Wir können damit sogar digital gesteuerte Wettbewerbe unter Abteilungen organisieren. Und das Team, das besonders umweltfreundlich unterwegs ist, bekommt einen Preis“, sagt Teresa Schlichting. Sie will moderne Finanzdienstleistungen eben „erlebbar“ machen. Das ist der emotionale Kern der Riverty-Transformation. Dafür macht die Strategin mobil und orientiert sich ganz nah am Menschen – beim Team und bei der Kundschaft.

Berater mit Kunden im Blick

Claus-Conrad Roth, Senior Manager bei Porsche ConsultingPorsche Consulting
Claus-Conrad Roth, Senior Manager bei Porsche Consulting, und sein Team starteten mit der Analyse der Markteintrittschancen und der Positionierung im Bereich Mobilität. „Wir haben zunächst eine quantitative und qualitative Bewertung der Player und Mobilitätsbereiche wie zum Beispiel Parken, Laden oder Public Transportation vorgenommen“, sagt Roth. „Wer bewältigt bereits wie viele Transaktionen? Wer verfügt über welches Marktvolumen? Nach der Priorisierung blieben eine Handvoll Mobilitätsbereiche übrig, die als mögliche Playing Fields für Riverty in Frage kamen.“ Es folgten die Definitionen der Vision, Mission sowie der strategischen Ziele. Roth: „Wir konzentrierten uns auf das Geschäftsmodell, das Wertversprechen gegenüber dem Kunden, das Ausspielen der Wettbewerbsvorteile, sowie die Berechnung des Business Case plus Evaluation der Soll-Ist-Kompetenzen. So konnten wir die bestmögliche Positionierung finden.“ Für das Geschäftsmodell mussten Fragen beantwortet werden: „Welche übergreifenden Ziele möchten wir in den nächsten Jahren erreichen?“, „Wie kommen wir dahin?“, und „Welche Partner müssen wir einbinden?“. Aus Sicht des Beraters kann ein Unternehmen, das neue Geschäftsfelder betritt, nur nachhaltig erfolgreich sein, wenn Zugang und ein tiefes Verständnis für die Kunden entwickelt wird. Zudem müsse ein Netzwerk an Partnern aufgebaut werden, die es ermöglichen, einen breiten und auf die Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Service zu erbringen. Es brauche aber auch die Flexibilität, „Systeme ständig an komplizierte und sich immer wieder verändernde Gesetzeslagen anzupassen.“
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