Biopharma bringt
Patienten Hoffnung
In der Pharmabranche ist eine neue Zeit angebrochen. Biopharma-Medikamente erreichen in großer Zahl die Marktreife. Sie haben das Potenzial, nahezu jede Krankheit zu heilen. Hoffnung für Patientinnen und Patienten mit bislang unheilbaren oder sehr seltenen Erkrankungen. Damit alle möglichst schnell von den Innovationen profitieren, müssen der Entwicklungsprozess verbessert und Vergütungsmodelle auf den Prüfstand gestellt werden. Das sagt unser Autor Dr. Roman Hipp, Senior Partner bei Porsche Consulting.
07/2024
Metachromatische Leukodystrophie (MLD) ist eine seltene, genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung. Für die betroffenen Menschen glich diese Diagnose früher einem Todesurteil. Ein mutiertes Gen ist der Auslöser dafür, dass die isolierende Schicht um die Nervenfasern im Gehirn progressiv zerstört wird. Die Signalweiterleitung funktioniert nicht mehr richtig. Nach und nach verlieren die Erkrankten motorische Fähigkeiten wie zum Beispiel sich zu bewegen, zu sprechen, zu schlucken. Unbehandelt ist die Lebenserwartung gering.
Medikament „kennt“ Patienten
Doch seit neuestem gibt es für diese Krankheit eine Behandlungsform. Genauer gesagt: eine Gentherapie. Den Patientinnen und Patienten werden Stammzellen entnommen und im Labor so verändert, dass sie eine funktionierende intakte Kopie des defekten Gens enthalten. Anschließend werden diese Stammzellen per Infusion zurück in den Körper gegeben, wo sie sich im Knochenmark vermehren können. Der Erfolg ist enorm. Die Kosten sind es auch: 3,91 Millionen Euro werden dafür laut Angaben von Orchard Pharmaceuticals kalkuliert – und zwar für eine Behandlung.
Dieses Beispiel zeigt, welche Erfolge dank der Biopharma möglich, und welche Kosten damit verbunden sind. Traditionelle pharmazeutische Medikamente sprechen oft einen großen Patientenkreis an und können zum Beispiel Kopfschmerzen lindern oder Husten stoppen – und das für kleines Geld, wenn ihre Patente erst einmal ausgelaufen sind und Generika auf den Markt kommen. Die Stärken von Biopharmazeutika liegen hingegen in der zielgerichteten Behandlung oder Eliminierung von eher seltenen Krankheiten. Egal ob es darum geht, mit bispezifischen Antikörpern, die in der Krebsimmuntherapie eingesetzt werden, eigene Immunzellen auf Tumore anzusetzen oder mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas defekte Gene zu reparieren, wie bei der eingangs erwähnten Erbkrankheit MLD: Die große Stärke ist die Individualität. Jeder Patient und jede Patientin bekommt eine Therapie, die individuell und ganz exakt auf ihn oder sie zugeschnitten ist. Schätzungen zufolge wird sich der Markt für Biopharma-Medikamente bis zum Jahr 2030 nahezu verdoppeln.
Ob Big-Pharma oder Start-up: Jeder möchte hier gern teilhaben. Doch die Barrieren, um erfolgreich im Biopharma-Geschäft zu sein, sind enorm. Der Herstellungsprozess ist komplexer als bei traditionellen chemischen Wirkstoffen. Und schon jetzt ist die Entwicklung neuer Medikamente von ständigen Rückschlägen geprägt.
Die Zeit drängt
Eine Analyse der Managementberatung Porsche Consulting hat ein deutliches Resultat: Von 1.000 Molekülen, die als hoffnungsvolle Kandidaten für neue Medikamente gehandelt werden, überlebt nur rund die Hälfte die erste Phase der klinischen Studien. Alle anderen werden aussortiert. Meist wegen zu starker Nebenwirkungen. In der zweiten Phase, in der Dosis und Effizienz des Wirkstoffs getestet werden, schrumpft die Kohorte nochmals um knapp drei Viertel. Und in der dritten Phase, in der der Wirkstoff erstmals an mehreren tausend Menschen getestet wird, fallen erneut mehr als 40 Prozent der Kandidaten raus. Am Ende sind es nur rund zehn von anfänglich 1.000 Wirkstoffen, die auch den Zulassungsprozess zum fertigen Arzneimittel erfolgreich meistern. Oft dauert dieser Prozess zehn Jahre oder länger und verschlingt dabei mehrere Milliarden Euro.
Diese Zahlen sind nicht spezifisch für Biopharma, sondern stehen für die Herausforderungen im Entwicklungsprozess auch von Pharmaunternehmen, die Medikamente auf Basis von chemischen Molekülen herstellen. Aber sie zeigen, mit welch hohen Entwicklungskosten die Pharmaunternehmen kämpfen. Wie kann es also gelingen, günstiger und schneller zu werden? Eine Möglichkeit ist der verstärkte Einsatz künstlicher Intelligenz (KI). Eine Analyse im Fachjournal Drug Discovery Today hat gezeigt, dass die von KI ausgewählten Wirkstoffkandidaten zu 80 bis 90 Prozent die erste Phase der klinischen Studien erfolgreich durchlaufen. Eine enorme Steigerung gegenüber den von Menschen „manuell“ ausgewählten Wirkstoffen. Für Pharmaunternehmen sind daher gezielte Investitionen im KI-Bereich sinnvoll. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die vor den Tests an Menschen bisher obligatorischen, aber auch fehleranfälligen Tierversuche durch Organchip-Experimente zu ersetzen. Dabei werden aus menschlichen Zellen im Labor winzige Gewebe gezüchtet, die die gleichen Eigenschaften haben wie menschliche Organe und sich daher gut für Medikamententests eignen – vorausgesetzt, die regulatorischen Rahmenbedingungen erlauben dies in Zukunft.
Wichtig ist es außerdem, frühzeitig ein diverses Team mit der Entwicklung neuer Medikamente zu betrauen. Neben den Spezialistinnen und Spezialisten aus Forschung und Entwicklung müssen von Anfang an auch die Abteilungen Herstellung, Marketing, Regulatory Affairs und Qualitätsmanagement mit am Tisch sitzen. Dieser ganzheitliche Blick hilft, Zeit und Geld zu sparen, weil nur die erfolgversprechendsten Kandidaten überhaupt in die klinischen Studien eingehen.
Dass es Potenzial gibt, schneller zu werden, zeigt die Betrachtung aus einer globalen Perspektive. Biopharma-Wirkstoffe internationaler Firmen befinden sich oft schon in Phase 3 oder weiter. Die Kandidaten der deutschen Player sind hingegen oft noch in Phase 1 oder 2.
Doch die deutschen Firmen können von den Best Practices der Unternehmen, insbesondere aus den USA, lernen und ihren Rückstand schnell aufholen. Dafür müssen innovative Technologien in ihren Forschungs- und Entwicklungsabteilungen einen höheren Stellenwert erhalten, idealerweise in einem Marktbereich, wo die Firma konkurrenzfähig ist. Strategisches Outsourcing einzelner Aktivitäten kann den Fortschritt zusätzlich beschleunigen.
Geld gegen Erfolg
Jedes größere Unternehmen muss außerdem ausloten, ob es externe Innovationen einkaufen und in sein bestehendes Organisationsmodell integrieren will, zum Beispiel über Kooperationen mit Ausgründungen von Universitäten und Forschungseinrichtungen. Oder ob es besser ist, die notwendige Expertise von Grund auf in der eigenen Firma aufzubauen. Die Beraterinnen und Berater von Porsche Consulting helfen dabei, die richtigen Ziele auszuwählen und neue Geschäftsfelder aufzubauen.
Auch beim Thema Finanzierung sind Innovationen gefragt. Wenn ein Medikament mehrere Millionen Euro kostet, dann wird nicht jeder Mensch dieses Medikament bekommen können. Es ist einfach zu teuer. Die Lösung? Wir müssen Vergütungsmodelle überprüfen und mit Traditionen brechen. Heutzutage wird die Menge eines verkauften Medikaments honoriert. Eine andere Möglichkeit wäre es, die Herstellerfirmen rein nach Wirksamkeit zu entlohnen: Nicht für jedes verkaufte Medikament gibt es Geld, sondern für jede erfolgreiche Behandlung.
Patientinnen und Patienten werden auf jeden Fall von den Innovationen im Bereich Biopharma profitieren. Denn je schneller ein Medikament auf den Markt kommt und je günstiger es ist, desto mehr Menschenleben wird es retten.