Industriegüter

Bereit zum Quantensprung

Der deutsche Photonik-Spezialist Jenoptik stellt sich mit einer klugen Transformationsstrategie neu auf. Vorstandschef Dr. Stefan Traeger treibt Innovationen stets genau nach Kundenbedarf voran. Als gefragter globaler Spezialist für optische Hochtechnologie nutzt Jenoptik die weltweit starke Industrienachfrage zur Steigerung der eigenen Ertragskraft. Und für Investitionen in eine erfolgreiche Zukunft.

02/2022

„Gut für die weltweite Reputation“, sagt Vorstandschef Dr. Stefan Traeger und zeigt ein Modell des Mars-Rovers Perseverance im Jenoptik-Foyer. Traegers Ingenieure haben Spezialobjektive für das Erkundungsfahrzeug entwickelt.Porsche Consulting / Marco Prosch

Inmit­ten grü­ner Hügel liegt sie fast ein wenig roman­tisch in einem Tal­kes­sel: Jena, die klei­ne Uni­ver­si­täts­stadt im Frei­staat Thü­rin­gen. Wer Jena zum ers­ten Mal besucht, kann sich kaum vor­stel­len, dass in der 110.000-Einwohner-Stadt ein tra­di­ti­ons­rei­ches Mega­zen­trum der opti­schen Indus­trie behei­ma­tet ist. Doch wer wenig spä­ter mit Jen­op­tik-Vor­stands­chef Dr. Ste­fan Trae­ger auf der Dach­ter­ras­se des Ernst-Abbe-Hoch­hau­ses steht, spürt schnell: Hier ist zwar alles eine Nuan­ce klei­ner, per­sön­li­cher als viel­leicht im kali­for­ni­schen Sili­con Val­ley oder im chi­ne­si­schen Shang­hai, aber die posi­ti­ve Atmo­sphä­re in der Jen­op­tik-Zen­tra­le ver­sprüht den vita­len Charme einer wohl­ver­netz­ten, von inge­nieurs­ge­trie­be­ner Exzel­lenz bestimm­ten „New Ger­man Eco­no­my“. Kom­bi­niert mit selbst­be­wuss­ter Bodenständigkeit.

Das war nicht immer so. Als im Mai 2017 der Phy­si­ker Ste­fan Trae­ger, Jahr­gang 1967, Vor­stands­vor­sit­zen­der wurde, änder­te sich die durch viele Jahr­zehn­te gepräg­te Kul­tur im Unter­neh­men. Nur mit dem Auf­bruch in eine neue Ära und mit dem Wil­len, auf dem Welt­markt dau­er­haft eine bedeu­ten­de Rolle zu spie­len, kann das Unter­neh­men in eine erfolg­rei­che Zukunft geführt wer­den, so Ste­fan Trae­gers Über­zeu­gung bei sei­nem Amtsantritt.

Mit dem Claim „More Light“ führt Vorstandschef Traeger das Unternehmen in ein neues Zeitalter. Jenoptik konzentriert sich auf Photonik – optische Verfahren zur Übertragung, Speicherung und Verarbeitung von Informationen.Porsche Consulting / Marco Prosch

Jena lag zu Zei­ten des geteil­ten Deutsch­lands im sozia­lis­tisch regier­ten, her­me­tisch abge­rie­gel­ten Gebiet, das nach dem Zwei­ten Welt­krieg von 1949 bis 1990 Deut­sche Demo­kra­ti­sche Repu­blik (DDR) hieß. Trae­ger, gebo­ren und groß gewor­den in Jena, hat seine erste Berufs­aus­bil­dung einst bei Carl Zeiss absol­viert – dem Unter­neh­men, aus dem die heu­ti­ge Jen­op­tik hervorging.

Keine Halbleiter ohne Jenoptik?

Trae­ger kam mit einem kla­ren Plan, den er seit Tag eins kon­se­quent und mit einer ange­mes­se­nen Por­ti­on natür­li­chem Cha­ris­ma und Stolz nach vorne treibt: Die Trans­for­ma­ti­on der Jen­op­tik vom breit auf­ge­stell­ten Indus­trie­kon­glo­me­rat zum fokus­sier­ten Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men. Schlan­ker, effi­zi­en­ter, auf die Kern­kom­pe­ten­zen bau­end und mit hohem Inno­va­ti­ons­an­spruch – so soll Jen­op­tik heute und in Zukunft aus­se­hen. Dafür besitzt das bör­sen­no­tier­te Unter­neh­men einen gigan­ti­schen Hebel: „Die Welt ruft immer lau­ter nach Halb­lei­tern. Aber ohne unse­re Pro­duk­te gäbe es kaum wel­che. Ein gro­ßer Teil aller Chips die­ser Welt hat irgend­wann im Fer­ti­gungs­pro­zess ein Pro­dukt von Jen­op­tik gese­hen“, sagt Trae­ger. Da sind zum Bei­spiel die High-End-Objek­ti­ve aus Jena. Mit ihnen wer­den Halb­lei­ter­struk­tu­ren in der Fer­ti­gung aufs Genau­es­te inspi­ziert – exakt und zuver­läs­sig. Sol­che Instru­men­te machen Jen­op­tik zum nahe­zu alter­na­tiv­lo­sen Pro­duk­ti­ons- und Sys­tem­part­ner. Eine unan­ge­foch­te­ne Pole-Position.

Der blau beleuchtete Schriftzug „Jenoptik“ auf dem Firmendach liegt dem Chef am Herzen – „Diese Lichter dürfen niemals ausgehen. Sie sind fest verbunden mit meiner Heimatstadt“, sagt Traeger.Ostthüringer Zeitung/Tino Zippel

Jen­op­tik beschäf­tigt welt­weit der­zeit knapp 4.900 Mit­ar­bei­ter, etwa ein Drit­tel davon arbei­tet am Stamm­sitz in Thü­rin­gen. Rund 900 Mil­lio­nen Euro Umsatz wur­den im Jahr 2021 erzielt. Durch die Coro­na-Pan­de­mie ist man in Jena bis­lang bemer­kens­wert gut gekom­men – ohne Werks­schlie­ßun­gen, ohne gra­vie­ren­de Umsatz­ein­brü­che. Natür­lich spielt da auch der enorm hohe Qua­li­täts­an­spruch eine Rolle. Hoch­leis­tungs­op­tik ist eine Bran­che, in der ein win­zi­ges Staub­korn über Qua­li­tät ent­schei­det: „Es gibt ja kaum etwas Siche­re­res als die Rein­räu­me, in denen wir pro­du­zie­ren“, sagt Traeger.

Zu den Kun­den welt­weit gehö­ren neben Unter­neh­men der Halb­lei­ter­aus­rüs­tungs­in­dus­trie auch die Auto­mo­bil- und Auto­mo­bil­zu­lie­fer­indus­trie, die Medi­zin­tech­nik sowie die Luft- und Raum­fahrt­in­dus­trie. Jen­op­tik baut bei­spiels­wei­se Laser, die in der Auto­mo­bil­fer­ti­gung Tür­ver­klei­dun­gen per­fo­rie­ren und schnei­den. Geschwin­dig­keits­mess­ge­rä­te für die Ver­kehrs­über­wa­chung gehö­ren genau­so zum Port­fo­lio wie Kom­po­nen­ten für die Raum­fahrt. Ein High­light ist das fern­ge­steu­er­te Mars-Erkun­dungs­fahr­zeug Per­se­ver­ance: Jen­op­tik-Inge­nieu­re haben an ihrem US-Stand­ort in Jupi­ter (Flo­ri­da) ver­schie­de­ne Typen von außer­ge­wöhn­li­chen, hoch­mo­der­nen Objek­ti­ven für das Mars-Mobil ent­wi­ckelt, mon­tiert und getes­tet. Staub- und tem­pe­ra­tur­re­sis­tent bis minus 135 Grad Cel­si­us – was die bril­lan­ten Bil­der vom roten Pla­ne­ten erst ermög­licht. Aber auch bei den all­ge­gen­wär­ti­gen Smart­phones sind die Spe­zia­lis­ten dabei. Zwar baut Jen­op­tik nicht die Mas­sen­op­ti­ken, stellt aber in der Pro­duk­ti­on die Qua­li­tät der Objek­ti­ve für Smart­phone-Kame­ras sicher. „Digi­ta­li­sie­rung würde ohne uns kaum mög­lich sein“, sagt Traeger.

„Mehr Licht“ – die Vision hat Strahlkraft

Der Jen­op­tik-Claim heißt: „More Light“. Die Visi­on lau­tet: „Brigh­ter Futures with the Power of Light“. Gemeint ist: Das Unter­neh­men will auf­bre­chen in ein neues Zeit­al­ter – die Ära des Lichts. Dabei kon­zen­triert sich Jen­op­tik auf die Kern­kom­pe­tenz, die Pho­to­nik: opti­sche Ver­fah­ren zur Über­tra­gung, Spei­che­rung und Ver­ar­bei­tung von Infor­ma­tio­nen. Die Visi­on ist fest darin ver­an­kert. Und der Fokus liegt auf For­schung und Ent­wick­lung – auch weit jen­seits von Jena: „Im Gro­ßen ver­su­che ich zu trei­ben, dass nicht alles hier am Stamm­sitz ent­wi­ckelt wird, son­dern auch in Shang­hai und Jupi­ter. Gera­de China ist für uns viel mehr als nur ein Absatz­markt. Wir heben dort auch das krea­ti­ve Poten­zi­al von Fach­leu­ten, das wir für Inno­va­tio­nen benö­ti­gen“, sagt Trae­ger. Bei der Pro­dukt­ent­wick­lung hört er sehr genau auf die indi­vi­du­el­len Vor­stel­lun­gen sei­ner Auf­trag­ge­ber: „Als Spe­zia­lis­ten sind wir grund­sätz­lich immer dann beson­ders gut, wenn wir unse­ren Kun­den hel­fen kön­nen, kom­ple­xe Pro­ble­me pho­to­ni­scher Natur in indus­tria­li­sier­ba­re Pro­duk­te umzu­wan­deln.“ Doch vor allem geht es dem Chef um die rich­ti­ge Balan­ce zwi­schen erfolg­rei­chen vor­han­de­nen Pro­duk­ten und zukunfts­träch­ti­gen Inno­va­tio­nen. „Wir wol­len uns noch sehr viel mehr auf das kon­zen­trie­ren, wofür wir wirk­lich gebraucht wer­den. Zugleich über­le­gen wir, was nicht mehr unbe­dingt zu unse­rem Kern­ge­schäft gehört. Viel­leicht soll­ten wir man­ches in Zukunft auch lassen.“

„Menschen verstehen und mitnehmen“ – darin sieht Dr. Stefan Traeger eine Kompetenz, die das Beraterteam von Porsche Consulting im Gepäck hatte, um an der Neuausrichtung in Jena mitzuwirken. Porsche Consulting / Marco Prosch

So trenn­ten sich die Jena­er von der nicht-opti­schen Pro­zess-Mess­tech­nik für Schleif­ver­fah­ren. Das dar­aus erlös­te Kapi­tal kann in die inter­na­tio­na­le Auf­stel­lung flie­ßen, denn Trae­ger sieht Ame­ri­ka und Asien als „stra­te­gi­sche Wachs­tums­re­gio­nen“. Oder in Über­nah­men wie jüngst von Ber­li­ner Glas Medi­cal, einem Anbie­ter hoch­prä­zi­ser opti­scher Kom­po­nen­ten für die Medi­zin­tech­nik – was nahe­zu per­fekt ins Port­fo­lio passt.

Mit Ste­fan Trae­ger zog aber auch eine neue Kul­tur in den fast ein wenig beschau­lich wir­ken­den „Turm“, wie das Jen­op­tik-Ver­wal­tungs­ge­bäu­de intern genannt wird: die Offen­heit. Impul­se von außen sind ihm wich­tig. Offen­heit auch für kluge Köpfe, für Ver­net­zung mit den Unter­neh­men vor Ort im Tech­no­lo­gie­park genau­so wie inter­na­tio­nal. Außer­dem gehört zu die­ser Offen­heit gene­rell eine vita­le Feh­ler­kul­tur: Ihm ist es lie­ber, Mit­ar­bei­ter „machen ein­fach“, anstatt wie es wohl frü­her häu­fi­ger der Fall war, „die nächs­te Ansa­ge des Chefs abzu­war­ten“. Er geht auch gern mit Mit­ar­bei­ten­den aus den unter­schied­li­chen Abtei­lun­gen in der Kan­ti­ne essen – „um zu ler­nen“. Trae­ger ist ein Prak­ti­ker. Er hört lie­ber an der Basis zu, „als stän­dig im Manage­ment bei Power-Point-Prä­sen­ta­tio­nen zu sit­zen“. Frü­her dage­gen wur­den alle wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen tra­di­tio­nell im „Turm“ getrof­fen. Aus Sicht des heu­ti­gen Chefs wurde dadurch vie­les unnö­tig verlangsamt.

Photonen für die Datenverarbeitung

Dem Jen­op­tik-Vor­stands­chef scheint es leich­ter als ande­ren zu fal­len, not­wen­di­ge Ver­än­de­rungs­pro­zes­se anzu­sto­ßen. Ganz offen­sicht­lich hel­fen ihm dabei – neben sei­nem auf­ge­schlos­se­nen, empa­thi­schen Natu­rell – die Her­kunft aus Jena und seine Nähe zur hoch spe­zia­li­sier­ten Pho­to­nik-Bran­che seit den ers­ten Berufs­ta­gen. „Ich ver­mu­te, dass man mir unbe­que­me, aber not­wen­di­ge Maß­nah­men eher ver­zeiht als jeman­dem, der fach­lich und geo­gra­fisch von außen käme. Auch wenn ich mal unan­ge­neh­me Wahr­hei­ten sagen muss, dann bin ich trotz­dem ‚einer von uns‘. Mir ist wich­tig, Jen­op­tik als eigen­stän­di­ges unab­hän­gi­ges Unter­neh­men zu erhal­ten. Viel­leicht das letz­te, das es in die­ser Größe im Osten Deutsch­lands gibt.“ Dabei weist Ste­fan Trae­ger auf den manns­ho­hen, blau beleuch­te­ten Fir­men­schrift­zug „Jen­op­tik“, ganz oben auf dem Fir­men­dach: „Diese Lich­ter dür­fen nie­mals ver­lö­schen. Dafür will ich mei­nen Bei­trag leis­ten. Das bin ich mei­ner Hei­mat­stadt schuldig.“

Auf­ge­schrie­ben wirkt der Satz viel­leicht sen­ti­men­tal. So ist er aber nicht gemeint. Ganz im Gegen­teil: Trae­ger hat vor sei­ner Heim­kehr viel von der Welt und der Indus­trie gese­hen. Sein unter­neh­me­ri­scher Blick geht weit nach vorn. Er sagt: „Der nächs­te logi­sche Evo­lu­ti­ons­schritt in der Daten­ver­ar­bei­tung ist, Elek­tro­nen durch Pho­to­nen zu erset­zen. Wir wer­den Auf­ga­ben mit Licht erfül­len kön­nen, bei denen die elek­tro­ni­sche Daten­ver­ar­bei­tung bereits heute an ihre Gren­zen stößt.“ Nur logisch, dass sich der Phy­si­ker längst mit dem „Next Level“ befasst – Quan­ten­tech­no­lo­gie. „Da müs­sen wir mit Jen­op­tik ganz vorne mit­spie­len.“ Wer den sym­pa­thisch geer­de­ten Phy­si­ker erlebt, ahnt: So wird er kom­men – der Quantensprung.

Menschen verstehen und mitnehmen

Porsche Consulting unterstützte Jenoptik dabei, die Neuausrichtung in verschiedenen Bereichen umzusetzen, unter anderem bei effizienteren Verwaltungs- und Organisationsstrukturen. Die Strategie 2022 des Photonik-Spezialisten Jenoptik steht nicht nur unter dem Motto „More Light“, sondern auch unter dem Anspruch, sich vom Industriekonglomerat zum fokussierten Technologiekonzern zu transformieren. Ein Team der Managementberatung Porsche Consulting bekam die Aufgabe, bei der Umsetzung der Strategie mitzuhelfen und die Weichenstellungen auf mehreren Ebenen zu begleiten. Zunächst galt es, Doppelstrukturen abzubauen und Governance-Strukturen zu optimieren. Durch Digitalisierung wurde die Effizienz im administrativen Bereich stark angehoben. Parallel wurde in einer Division der Bereich Forschung und Entwicklung reorganisiert. Für die Neuausrichtung und Fokussierung seines Unternehmens war Vorstandschef Dr. Stefan Traeger der Blick von außen wichtig, die temporäre Mitarbeit von neutralen Ratgebern mit Praxisbezug und mit Einfühlungsvermögen. „Das Beraterteam hat die Menschen bei Jenoptik verstanden und mitgenommen. So führte die Zusammenarbeit mit Porsche Consulting zum gemeinsamen Erfolg“, sagt Traeger.
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