Bahn-Fahrgäste auf
dem besten Weg
Es geht nicht alles auf einmal. Schon gar nicht bei einem so komplexen System wie der Bahn. Aber: Im Personenverkehr müssen in puncto Digitalisierung jetzt wichtige Weichen gestellt werden. Gute Beispiele gibt es bereits.
06/2025

Gerade im Personenverkehr erleben europäische Bahnbetreiber eine Renaissance: Das Verkehrsmittel ist bei allen Generationen beliebt – auf privaten oder dienstlichen Reisen gleichermaßen, im Nah- und im Fernverkehr. Gerade die schnellen Verbindungen zwischen europäischen Metropolen sind attraktiv. Gegenüber Auto und Flugzeug kann die Bahn oft mit einer Reihe von Vorteilen punkten. Wenn alles glatt läuft. Und wenn Qualität, Komfort, Verfügbarkeit und Preis stimmen.
In Europa erreichte die Nutzung der Bahn nach den pandemiebedingten Einbrüchen im Jahr 2023 einen Rekordwert. Die Verkehrsleistung lag bei 429 Milliarden Personenkilometern (von Fahrgästen gefahrene Gesamtstrecke). Bis 2028 rechnen die Prognosen mit einem jährlichen Wachstum von vier bis sechs Prozent. Und mit dem Klimaschutzpaket „Green Deal“ der EU-Kommission ist geplant, den europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehr bis 2030 zu verdoppeln und bis 2050 zu verdreifachen. Gerade die „Rennstrecken“ mit den modernsten Zügen, den besten Schienenwegen und den schnellsten Verbindungen sind ein Magnet für Fahrgäste.
Mehr Attraktivität auf die Schiene bringen
Die Bahn kann dieses Momentum nutzen. „Kann“ deshalb, weil es dafür der Realisierung wichtiger Voraussetzungen bedarf. Eine wesentliche davon ist die dringend notwendige Digitalisierung. Und zwar zuerst an den wichtigsten Stellen. Für den Personenverkehr bedeutet das: Absolute Kundenorientierung hat Vorrang. Wenn möglichst im gesamten Streckennetz die Technologien schnell eingesetzt werden, die Fahrgästen zuverlässige Verbindungen „von Tür zur Tür“ und ein attraktives Buchungs- (und Stornierungs-) System bieten, wird die Bahn bei der sinnvollen Vernetzung der Verkehrsträger die Hauptrolle spielen. Mehr noch: Sie kann auf längere Sicht damit wirtschaftlich so erfolgreich werden, dass dem System Bahn ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, auch künftig mit dem steigenden technologischen Innovationstempo mitzuhalten. Also: Attraktivität halten und kontinuierlich ausbauen.
Was also wären die ersten wichtigen Digitalisierungsschritte, die sich an dem Bedarf der Fahrgäste orientieren? Ein wichtiger Hebel, um die Fahrgastzahlen im Schienenverkehr zu erhöhen, liegt im Kundenerlebnis. Das beginnt bei der Reiseplanung und Buchung. Passagiere wünschen sich Komfort und Effizienz. Die Digitalisierung der Kundenschnittstelle verbessert genau das. Sie revolutioniert das Fahrgasterlebnis durch proaktive Identifikation der Kundenbedürfnisse: Fahrgäste profitieren von personalisierten Reiseoptionen, die individuelle Präferenzen wie die schnellste, bequemste oder günstigste Verbindung berücksichtigen.
Das Ziel: von regional nach international

Überregionale Apps ermöglichen die kombinierte Buchung unterschiedlicher Verkehrsanbieter und machen integrierte Mobilität zur Realität. Hier gibt es weltweit gute Ansätze, allerdings sind die Lösungen zumeist regional begrenzt und nicht miteinander vernetzt. Überregionale länder- und verkehrsträgerübergreifende Lösungen sind notwendig. Beispiele für solche digitalen Plattformen sind Moovit aus Israel, die weltweit in über 3.400 Städten verfügbar ist, oder Citymapper aus Großbritannien, die Angebote für den öffentlichen Personennahverkehr, Bahn, Fahrrad und Taxi in 31 europäischen Ländern bereithält.
In Deutschland erhalten externe Mobilitätsplattformen wie Trainline oder Omio seit 2024 direkten Zugang zu den Live-Daten der Deutschen Bahn. Dadurch lassen sich verschiedene Verkehrsmittel kombinieren und die beste Route anzeigen. Außerdem vereinfachen die beiden Plattformen die Verwaltung sowie den Kauf von Tickets. Sie bieten Echtzeitinformationen, übernehmen Buchungen und liefern personalisierte Reiseempfehlungen. Mobilitätsdaten ermöglichen es, Reisepläne situativ anzupassen. Zugverbindungen, Verspätungen und Störungen werden in Echtzeit bereitgestellt. Hier bedarf es integrierter, grenzüberschreitender Lösungen. Bahnbetreiber verfolgen dabei eine Omnichannel-Strategie: Einerseits werden digitale Kanäle ausgebaut, andererseits achtet man darauf, Fahrgäste mit weniger Internet-Routine nicht abzuhängen, und bietet weiterhin persönliche Beratung an.

Die Intelligenz reist mit
Neue Technologien, wie die Künstliche Intelligenz, helfen dabei, zum Beispiel auch den Service zu verbessern und individueller zu gestalten. Bedürfnisse unterschiedlicher Kundengruppen – etwa so genannter Silver Ager ab 50 Jahren oder Fahrgäste mit eingeschränkter Mobilität – werden dadurch berücksichtigt, dass digitale Plattformen Informationen zu barrierefreien Reiseoptionen bereitstellen und die Buchung von Unterstützungsdiensten im Voraus ermöglichen. Die Analyse von Nutzerdaten ermöglicht personalisierte Kundenansprache und spezielle Angebote, die direkt an die Fahrgäste gesendet werden – beispielsweise Vorteile beim Ticketpreis auf häufig genutzten Strecken oder Empfehlungen für touristische Attraktionen.

Intelligente Steuerungssysteme nutzen Passagierflussdaten, um Kapazitäten optimal zu verteilen und überfüllte Personenzüge zu vermeiden. Beispielsweise kann über flexibles Pricing eine Nachfragesteuerung erfolgen, um Kapazitätsspitzen zu minimieren. Auf Basis von Prognosedaten können Ressourcen frühzeitig an Sondersituationen angepasst werden. Blockchain-Technologie erhöht die Sicherheit und Transparenz von Buchungssystemen, indem sie eine nachvollziehbare Abwicklung von Transaktionen ermöglicht und Betrugsrisiken minimiert.
Die ausgewählten Beispiele zeigen: Vom Einsatz neuer Technologien im Personenverkehr profitieren die Fahrgäste. Sie werden der Bahn bessere Zeugnisse ausstellen, wenn ihr Bedarf erfüllt wird. Und die Bahn? Sie profitiert nicht nur von besseren Noten. Die viel genaueren Daten können direkt in der Qualitäts-, Angebots- Auslastungs- und Erwartungsmanagement einfließen, um „Reisen mit der Bahn“ zu einem durchweg positiven Erlebnis in allen Kategorien zu machen. Übrigens: Nicht alle Services muss die Bahn selbst erbringen. Bestimmte Features eignen sich durchaus für Dienstleister, die als Partner auftreten.
Marc Zacherl
