Mobilität

Die Autoindustrie wird aufgeladen

Der Batteriemarkt für Elektrofahrzeuge ist von großer Nachfrage, aber auch von Unsicherheit und erheblichen Schwankungen geprägt. Der Batteriezellen-Hersteller LG Chem stellt sich mit seinem riesigen Werk in Polen darauf ein.

09/2020

Auf der Überholspur: Mit neuen Modellen wie dem ID.3 von Volkswagen soll die Wende zur Elektromobilität angekurbelt werden. Das Elektrofahrzeug basiert auf dem Modularen E-Antriebs-Baukasten (MEB) des Konzerns.Volkswagen AG/Oliver Killig

Die wach­sen­de Ver­brei­tung elek­tri­scher Antrie­be in Kraft­fahr­zeu­gen lässt die Nach­fra­ge nach Bat­te­rien ste­tig stei­gen. Es wird erwar­tet, dass sich der Markt­an­teil von Elek­tro- und Hybrid­fahr­zeu­gen von weni­ger als 10 Pro­zent im Jahr 2018 auf mehr als 90 Pro­zent im Jahr 2050 erhöht, wäh­rend sich die Anzahl der jähr­lich pro­du­zier­ten Pkw welt­weit im glei­chen Zeit­raum ver­dop­pelt. Damit der enor­me Bedarf an Bat­te­rien gedeckt wer­den kann, steigt die in Giga­watt gemes­se­ne Fer­ti­gungs­ka­pa­zi­tät im glei­chen Zeit­raum Pro­gno­sen zufol­ge auf das Siebzehnfache.

LG Chem, dem Bör­sen­wert nach die Num­mer vier unter den Che­mie­kon­zer­nen welt­weit, blickt auf mehr als 20 Jahre Erfah­rung auf dem Bat­te­rie­markt zurück. Im Jahr 2018 errich­te­te das Unter­neh­men die größ­te euro­päi­sche Pro­duk­ti­ons­stät­te für Lithi­um-Ionen-Bat­te­rien für Elek­tro­au­tos. Das Werk nahe Wro­cław (Bres­lau) in Polen ist vier Mal grö­ßer als Giga­fac­to­ry 1 von Tesla in den USA. Hier ent­ste­hen auf mehr als 50 Fer­ti­gungs­stra­ßen sowohl ein­zel­ne Bat­te­rie­zel­len als auch Kom­plett­bat­te­rien für die euro­päi­schen Auto­mo­bil­her­stel­ler. Aller­dings muss sich LG Chem trotz der guten Wachs­tums­aus­sich­ten stän­dig neu auf die sich rasant wan­deln­den Markt­be­din­gun­gen ein­stel­len. Will man mit den bei­spiel­lo­sen Nach­fra­ge- und Wachs­tums­ra­ten Schritt hal­ten, so bedarf es einer kon­ti­nu­ier­li­chen Opti­mie­rung von Pro­zes­sen und Abstim­mun­gen mit den Erstausrüstern.

Auf einen Blick

LG Group

… wurde 1947 als Lucky Chemical Industrial Co. in Südkorea gegründet und beschäftigt heute 250.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zum Konzern gehören Tochtergesellschaften in den Bereichen Chemie, Elektronik, Telekommunikation und Dienstleistungen. Die Umsatzerlöse beliefen sich im Jahr 2019 auf 137,2 Milliarden US-Dollar.

Unerlässlich: die Steuerung komplexer Abläufe

Sowohl die Fer­ti­gung selbst als auch die Abstim­mung zwi­schen Zulie­fe­rern und Erst­aus­rüs­tern sind kom­plex. Ein anschau­li­ches Bei­spiel dafür ist die Her­stel­lung von Pouch-Zel­len. Diese leich­ten Zel­len durch­lau­fen 15 Fer­ti­gungs­schrit­te mit mehr als 1.500 fest­ge­leg­ten Pro­zess­pa­ra­me­tern, bevor sie das Werk nach stren­gen Qua­li­täts­kon­trol­len ver­las­sen. Kun­den wie etwa Volks­wa­gen stel­len für ihre Mar­ken sehr spe­zi­el­le Beschaf­fungs­richt­li­ni­en und kon­kre­te Anfor­de­run­gen unter ande­rem an die Frei­ga­be neuer Pro­duk­te auf, die von den Lie­fe­ran­ten ein­zu­hal­ten sind.

Mit der Errich­tung des Werks in Polen beschritt LG Chem daher Neu­land. In dem Bestre­ben, sowohl eine rei­bungs­lo­se Inbe­trieb­nah­me als auch eine ratio­nel­le Pro­duk­ti­on zu gewähr­leis­ten, beauf­trag­te LG Chem Por­sche Con­sul­ting mit beglei­ten­den Maß­nah­men in der Anlauf­pha­se. Nach ein­ge­hen­den Ana­ly­sen wurde deut­lich, dass man die Bat­te­rie­nach­fra­ge durch eine Aus­wei­tung der Pro­duk­ti­on ohne zusätz­li­che Kapa­zi­tä­ten würde decken kön­nen, wenn die Instand­hal­tung der tech­ni­schen Anla­gen opti­miert würde. „Mit dem Instand­hal­tungs­kon­zept von Por­sche Con­sul­ting kön­nen wir die Pro­duk­ti­on um 14 Pro­zent stei­gern“, sagt Kyong Deuk Jeong, Prä­si­dent von LG Chem Wro­cław Energy.


Entwicklung Pkw-Markt weltweit

Elek­tri­fi­zie­rung auf dem Vormarsch

Der Anteil von Elektro- und Hybridfahrzeugen am weltweiten Pkw-Markt soll bis zum Jahr 2050 auf mehr als 90 Prozent steigen, bei einer gleichzeitigen Verdopplung des gesamten Produktionsvolumens. (Quelle: Porsche Consulting)Porsche Consulting

Maß­geb­lich für die erfolg­rei­che Ent­wick­lung des Werks, des­sen Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tät auf mehr als 100 GWh aus­ge­wei­tet wer­den soll, war die sorg­fäl­ti­ge Steue­rung des Pro­duk­ti­ons­an­laufs. Es kam dar­auf an, die Pro­duk­ti­ons­zah­len zu stei­gern und gleich­zei­tig die Pro­dukt­qua­li­tät zu gewähr­leis­ten. Eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung ergab sich aus der Not­wen­dig­keit, die in Korea übli­che Arbeits­wei­se auf die Metho­den und Erfor­der­nis­se von Erst­aus­rüs­tern wie etwa Volks­wa­gen abzu­stim­men. Für LG Chem ist das Geschäft mit der Auto­in­dus­trie noch Neu­land, erschwe­rend kamen sprach­li­che und kul­tu­rel­le Unter­schie­de hinzu. „Wo sich stän­dig etwas ändert, ist gute Kom­mu­ni­ka­ti­on uner­läss­lich“, sagt Jeong. „Kun­den­sym­po­si­en und F&E‑Netzwerke hel­fen uns, die Erfor­der­nis­se unse­rer Kun­den zu ver­ste­hen und unser Pro­dukt­port­fo­lio ent­spre­chend anzu­pas­sen.“ Diese Her­an­ge­hens­wei­se habe Früch­te getra­gen. „Die erfolg­rei­che Ein­füh­rung der Lang­zel­len­tech­no­lo­gie für den revo­lu­tio­nä­ren Modu­la­ren E‑An­triebs-Bau­kas­ten (MEB) von Volks­wa­gen ist ein her­vor­ra­gen­des Bei­spiel dafür, wie unse­re Zusam­men­ar­beit mit Erst­aus­rüs­tern eine welt­wei­te Tech­no­lo­gie­füh­rer­schaft hervorbringt.“

Wir wollen die grüne Fabrik der Zukunft erschaffen.

Kyong Deuk Jeong
Präsident von LG Chem Wrocław Energy

Nachhaltigkeit und Innovation

Kom­ple­xi­tät ist nicht die ein­zi­ge Her­aus­for­de­rung, mit der sich LG Chem aus­ein­an­der­set­zen muss. Auch das Thema Nach­hal­tig­keit in sei­nen zahl­rei­chen Facet­ten steht bei der Kon­zern­füh­rung ganz oben auf der Prio­ri­tä­ten­lis­te. „Wir wol­len nicht nur Akkus für Elek­tro­fahr­zeu­ge lie­fern, son­dern noch einen Schritt wei­ter­ge­hen und die grüne Fabrik der Zukunft bauen“, sagt Jeong. Da die Erst­aus­rüs­ter in ihren Beschaf­fungs­ket­ten eine bes­se­re CO2-Bilanz anstreb­ten, stell­ten immer mehr Zulie­fe­rer auf erneu­er­ba­re Ener­gie­quel­len um. „Zwei­te Prio­ri­tät haben Siche­rung und Aus­bau unse­res tech­ni­schen Vor­sprungs.“ Daher inves­tie­re das Unter­neh­men sowohl in eige­ne For­schung und Ent­wick­lung als auch in Part­ner­schaf­ten mit Anbie­tern zukunfts­wei­sen­der Batterietechnik.

Das Coronavirus verändert alles

Der Aus­bruch von Covid-19 blieb auch für LG Chem nicht ohne Fol­gen. Zunächst ein­mal muss­ten alle Abtei­lun­gen der neuen Gefähr­dungs­la­ge Herr wer­den. Regel­mä­ßi­ge Hand­hy­gie­ne, das Abstand­hal­ten und das Tra­gen von Mund- und Nasen-Bede­ckun­gen wur­den zur Pflicht, die Arbei­ten wur­den dadurch jedoch nicht beein­träch­tigt. „Unse­re Beschäf­tig­ten haben sich vor­bild­lich ver­hal­ten und die neuen Regeln befolgt“, sagt Jeong. Aller­dings kam es infol­ge logis­ti­scher Pro­ble­me und der Schlie­ßung von Zulie­fer­be­trie­ben zu Ver­zö­ge­run­gen beim Bezug wich­ti­ger Pro­duk­ti­ons­ma­te­ria­li­en. LG Chem konn­te diese Kri­sen­si­tua­ti­on dank aus­rei­chen­der Lager­hal­tung, eines aus­ge­klü­gel­ten Beschaf­fungs­we­sens, eng geknüpf­ter Bezie­hun­gen und nicht zuletzt har­ter Arbeit und Krea­ti­vi­tät bewältigen.

Eine grö­ße­re Her­aus­for­de­rung stell­te die Coro­na­kri­se für das Hoch­fah­ren der Pro­duk­ti­on dar. Die Unter­bre­chung des Pro­duk­ti­ons­an­laufs und der ent­spre­chen­den Per­so­nal­schu­lun­gen kam schlicht­weg nicht infra­ge. Die Pro­duk­ti­ons­stra­ßen wur­den in Süd­ko­rea gebaut und getes­tet und dann zur Mon­ta­ge nach Polen ver­schifft. Da das für den Auf­bau vor Ort benö­tig­te erfah­re­ne Fach­per­so­nal aus Süd­ko­rea wäh­rend des Lock­downs nicht mehr nach Polen ein­rei­sen durf­te, ver­län­ger­ten die bereits anwe­sen­den Exper­ten ihren Auf­ent­halt. Ergän­zend kamen digi­ta­le Instru­men­te für den Fern­zu­griff zum Einsatz.

Staatliche Anreize fördern Kaufbereitschaft

Durch den Lock­down und die damit ver­bun­de­ne gerin­ge­re Kauf­be­reit­schaft gab es natür­lich bei der Auto­in­dus­trie auch Nach­fra­ge­ein­bu­ßen. „Offen gestan­den, habe ich mich gefragt, was im Fall eines dras­ti­schen Nach­fra­ge­rück­gangs ins­be­son­de­re in Euro­pa aus der Bat­te­rie­pro­duk­ti­on wer­den soll“, so Jeong. Zum Glück erwies sich diese Sorge als unbe­grün­det. Die euro­päi­schen Län­der, dar­un­ter auch Deutsch­land, stell­ten zusätz­li­che Kauf­an­rei­ze für Elek­tro­fahr­zeu­ge bereit, um den Markt wie­der in Schwung zu brin­gen. Schließ­lich lief nach einer Unter­bre­chung die Pro­duk­ti­on bei den Erst­aus­rüs­tern all­mäh­lich wie­der an. Da LG Chem seine Fer­ti­gung jedoch nicht unter­bro­chen hatte, nah­men die Auto­kon­zer­ne nun einen Teil der pro­du­zier­ten Bat­te­rien auf Lager.


Entwicklung Batteriebedarf weltweit

Star­ke Wachstumsprognose 

Der weltweite Batteriebedarf soll bis zum Jahr 2050 auf bis zu 13.000 GWh anwachsen. (Quelle: Porsche Consulting)Porsche Consulting

Jeong zufol­ge ist LG Chem mit einem Anteil von 80 Pro­zent seit Janu­ar 2020 Markt­füh­rer bei Bat­te­rien für Elek­tro­fahr­zeu­ge in Euro­pa. Auch glo­bal belegt LG Chem mit einem Markt­an­teil von 24 Pro­zent den Spit­zen­platz (Zeit­raum Janu­ar bis Mai 2020). Diese Erfol­ge erreich­te das Unter­neh­men dank erheb­li­cher Inves­ti­tio­nen. Mit­tel­fris­tig strebt LG Chem Pro­fi­ta­bi­li­tät und die Siche­rung der Markt­füh­rer­schaft auf Grund­la­ge enger Kun­den­be­zie­hun­gen an. „Mit­tel- bis lang­fris­tig wird der Elek­tro­an­trieb zwei­fel­los den Ver­bren­nungs­mo­tor weit­ge­hend ver­drän­gen“, so Jeong. „Das eröff­net uns eine groß­ar­ti­ge Chan­ce auf dem euro­päi­schen Markt und auch zum Vor­an­trei­ben tech­ni­scher Neu­ent­wick­lun­gen wie etwa der kobalt­frei­en Bat­te­rie und der Fest­stoff­bat­te­rie, die mehr Sicher­heit und höhe­re Leis­tung bieten.“

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